VfL Wolfsburg – Hannover 96 0:4

Letztes Wochenende deklassierten die Hannoveraner auswärts den VfL Wolfsburg. Trotz zahlreicher teurer Neuverpflichtungen und einer neu formierten Defensive erhielt die Magath-Elf vier Treffer und war über weite Strecken des Spiels ungefährlich. Dies lag insbesondere an der taktischen Disziplin der Slomka-Elf in sämtlichen Facetten des Konterspiels und der defensiven Kompaktheit.

Wechselwirkung der jeweiligen Formationen

Grundformationen zu Spielbeginn

Wolfsburg begann in einem engen System, welchem das 4-2-3-1 als Basis diente. Allerdings hatte es durch Josues zurückgezogene Stellung im Vergleich zum zweiten Sechser Schäfer sowie Diegos Mithilfe im Aufbauspiel auch Merkmale eines 4-1-4-1 und wegen der bisweilen hohen Rolle der Stürmer wirkte es sogar wie ein 4-3-3. Alles in allem versuchten die Wölfe im Zentrum numerisch überlegen zu sein und durch Diego die Außen kreativ ins Spiel einzubinden. Diego sollte auch als Kombinationsspieler fungieren, der Räume überlud und im Verbund mit Schäfer sowie den Außenverteidigern aufrückte. Teilweise positionierte er sich auch als zweiter Stürmer und wollte in die Räume hinter der Abwehr kommen, doch dann fehlte es am Passgeber von hinten.

Hannover begann mit ihrem 4-4-2-System, wobei Schlaudraff sich etwas tiefer als Sturmpartner Sobiech zeigte. Auch war auffallend, wie oft Schlaudraff nach rechts in die defensiveren Räume driftete und dort mit Stindl gemeinsam agierte oder gar dessen Position übernahm. Eine mögliche Ursache ist neben dem offensivstarken Rodriguez auch die hohe Position Olics. Hier waren weite Räume frei und hätten bei einem guten Pass entlang der Linie einfach zum kollektiven Nachrücken genutzt werden können. Ein Pass auf Olic und es wäre eine eins-gegen-eins-Situation geworden, weswegen Schlaudraff auf rechts als Raumfüller diente und dort bei Bedarf Überzahl herstellte. Allerdings isolierte sich Olic durch seine hohe Position als linker Flügelstürmer, die seinen Fähigkeiten auch nicht wirklich entspricht,  ohnehin selbst und war kaum eine Gefahr.

Links suchte Huszti die Räume in den Halbpositionen und dem Zentrum, um seine Kreativität ins Spiel miteinzubringen. Generell rückten die Flügelstürmer weit ein, wenn der Angriff auf der gegenüberliegenden Seite stattfand. Huszti tat dies jedoch weit früher und suchte aktiver die Bindung zum Spiel, was zu einigen kurzen Spielverlagerungen in Form von aneinandergereihten Kurzpässen auf ihn führte. Zentral zeigten sich Pinto und Andreasen in einer antizipativen Doppelsechs, welche Pässe unterbrechen sollte und dann schnell die eroberten Bälle in die Spitze treiben sollte.

Hannover in der Defensive: zwischen Pressing, Anlaufen und klassischem Defensivspiel

Die Mannschaft von Mirko Slomka zeigte einmal mehr ihre hervorragenden Fähigkeiten im Umschaltspiel. Wichtig dafür ist auch, dass sie es schaffen, den Gegner konstant unter Druck zu setzen – so hatten sie trotz des Fokus auf schnelles Umschalten 51% Ballbesitz, also mehr als die Gastgeber aus Wolfsburg. Da aber ein aggressives Pressing über neunzig Minuten nicht auszuhalten wäre, schon gar nicht im Angriff, haben die Hannoveraner mehrere Mechanismen, welche ihre Spielweise ermöglichen.

in Wolfsburgs Aufbauspiel fehlte es an der Kompaktheit nach vorne, die breitegebenden Spieler waren zu tief angelegt und der in der Halbzeitpause ausgewechselte Josue mit seiner Rolle als Organisator überfordert

Dies beginnt bereits bei der Art und beim Ort des Pressens. Das Angriffspressing wird nur in vielversprechenden Situationen ausgeführt und dann möglichst aggressiv praktiziert. Dadurch entsteht Druck auf die Innenverteidiger, was die Hannoveraner später mit falschem Pressing physisch weniger anspruchsvoll nutzen können. Ansonsten spielten die Gäste ein Mittelfeldpressing. Sie attackierten den Gegner kollektiv und aggressiv, um den Ball zu erobern. Wurde der Ball zurückgespielt, dann suchten die Hannoveraner eine Zwischenschwelle zwischen ihrer tiefen Grundposition und der aufgerückten Momentanposition. Aus dieser heraus liefen dann die ballnächsten Spieler den Ballführenden des Gegners an und sobald sich die Möglichkeit bot, beispielsweise bei ungenauem Pass oder schwacher Ballverarbeitung, gingen sie wieder in das Pressing über. Dadurch wurden einerseits die schnellen Läufe von der Momentanposition bei fehlgeschlagenem Pressingintervall auf die Grundposition in der Formation und andererseits auch die Sprintlänge beim neuerlichen Pressing verkürzt.

Wichtig war auch das Erzeugen von lokalen Überzahlen in der Offensive, um das Konterspiel erfolgreich zu gestalten. Wurde der Ball also beim Kontern verloren, dann wurde entweder Gegenpressing gespielt, falls der Gegner den Ball hielt oder sofort auf die ursprüngliche Position zurückgesprintet, um wieder kompakt zu stehen. Dadurch wurden die zu langsam vorgetragenen Angriffe der Wolfsburger bestraft und einige Bälle konnten sofort bei Ballverlust wieder zurückgewonnen werden. Doch nicht nur im Spiel ohne Ball zeigten die Hannoveraner eine gute Leistung.

Dies sah man auch beim zweiten Treffer. Als Josue mit der Ballannahme beschäftigt war, stand nur ein 96er vor dem Ball. Dann läuft Schlaudraff den Brasilianer an und antizipiert dessen Pass. Diesen kann Josue zwar unterbrechen, doch hinten schieben die Sechser der Hannoveraner nach und Pinto antizipiert die neue Passwahl Josues. Huszti reagiert darauf schneller als die anderen und startet auf der anderen Seite sofortin die Lücken der gegnerischen Formation. Er erhält den Ball, Sobiech wird dann durch Naldos Attackieren auf Huszti im Zentrum frei und mit etwas Glück kommt durch die Beine des Wolfsburger Neuzuganges aus Bremen der Ball zum Mittelstürmer. Neben diesen guten Kontern zeigte sich die Mannschaft Slomkas in weiteren Aspekten sehr gut.

Hannover im Aufbauspiel: Stabilität und Dreiecksbildung

Die Wölfe versuchten teilweise mit einem 4-4-2 im Pressing die Innenverteidiger des Gegners zu isolieren und ihre Passwegen zu blocken. Hannover reagierte darauf mit einer interessanten Spielweise im Spielaufbau. Sie positionierten sich im Mittelfeld mit einem Quadrat und die Viererkette entstand im Aufbauspiel in der Mitte. Dies entsprach also einem 2-4-2-2, welches das gegnerische Pressing aushebelte.

Eggimann hatte im Aufbauspiel ein Dreieck, konnte aber auch auf Haggui spielen. Dieser hatte dann entweder sein Dreieck mit den beiden Sechsern oder konnte das Spiel indirekt durch Pinto auf die im Zuge des vorherigen Wolfsburger Pressings offene Seite verlagern. Auch der ballnahe Sechser, in diesem Fall Andreasen, hatte bei Ballannahme Dreiecke zur Verfügung, außerdem immer die Option Schlaudraff entlang der Linie weit zu schicken

Die beiden Sechser befanden sich im Raum zwischen des Gegners 4-4-2 und positionierten sich diagonal zu den Innenverteidigern, wodurch Dreiecke entstanden. Die Außenverteidiger machten das Spiel breit und dadurch konnten die Flügelspieler im Mittelfeld nach innen schieben und die gegnerischen Sechser am Aufrücken hindern. Erhielten die Sechser den Ball, dann konnten sie kurzzeitig nach Anspielstationen suchten und sofort das schnelle Umschalten forcieren.

Entschieden sich die Hannoveraner auf eine Seite im Spielaufbau, dann schoben die beiden Sechser stark zu dieser Seite hin. Einer ließ sich teilweise etwas nach hinten fallen, falls die Passoption zum Außenverteidiger für den Innenverteidiger versperrt wurde und ansonsten bot er sich für einen Querpass mit dem Außenverteidiger an. Der zweite Sechser blieb lose im ballfernen Raum stehen, um bei Ballverlust ein aggressives Attackieren gegen den Ball zu ermöglichen. Vorne wurde dann im Angriffsverlauf die Nähe zueinander gesucht, was auch durch die eingerückte Flügelstürmerpositionierung im Aufbauspiel möglich gemacht wurde, was in weiterer Folge das Offensivspiel wie auch das Gegenpressing verbesserte.

Was fehlte Wolfsburg?

Die Hausherren kamen kaum zu zwingenden Chancen und zeigten sich alles in allem uninspiriert auf dem Weg zum gegnerischen Tor. Die Außenverteidiger beteiligten sich im Spielaufbau stark und rückten oft mit Ball am Fuß auf. Allerdings fehlten sie durch diese tiefe Position, aus welcher sie sich die Bälle holten, im Aufbauspiel  weiter vorne, weswegen die Außenstürmer sehr breit agieren mussten. Es fehlte die räumliche Nähe zueinander und im Aufbauspiel wirkte die Formation wie ein 4-3-3. Diego ließ sich zur Unterstützung fallen, Josue agierte tiefer und wollte das Spiel strukturieren sowie Diego entlasten, was kaum gelang.

Die breite Stellung der Außenstürmer isolierte nicht nur sie, sondern auch den Mittelstürmer Bas Dost. Dieser wurde von jeweils einem der beiden gegnerischen Innenverteidiger, zumeist Haggui, in Manndeckung genommen und hatte kaum Chancen den Ball unbedrängt zu erhalten und sich zu drehen. Durch die tiefe Stellung Diegos und die Breite der Außenstürmer fehlte es auch an der Möglichkeit diese Räume zu nutzen. Wenn die Außenverteidiger aufrückten und Diego seine vertikalen Bewegungen zeitlich richtig nutzte, wurde das Loch bespielt und die wenigen gefährlichen Aktionen der Wölfe entstanden. Dies kam aber nicht konstant vor und einige Bälle in die Löcher wurden auch schlicht von Zieler gut abgefangen.

Fazit

Hannover spielte taktisch besser, wirkte eingespielter und im Herausspielen von Chancen effizienter. Immer wieder konnten sie mit schnellen Kontern die gegnerische Defensive in Verlegenheit bringen, die Wölfe zeigten nur ansatzweise gutes Pressing, vornehmlich beim Gegenpressing. Hannover hingegen scheint sämtliche Pressingaspekte in ihr Spiel einfließen zu lassen und ließ kaum Chancen zu, was für eine schnelle Entscheidung sorgte. Nicht erst nach der roten Karte war Wolfsburg schon zu weit hinten, um etwas gegen die Slomka-Elf auszurichten.

Pep 10. September 2012 um 16:23

Ich habe das Spiel leider nicht gesehen. Kann mir jemand etwas zu Andreasen und Pinto sagen? Gibt es eine defensiv/ofensiv aufteilung oder spielen beide variabel? Wer ist im moment stärker drauf?
Wie macht sich Schäfer neben Diego?
Danke sehr!

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RM 10. September 2012 um 20:12

Variabel, wobei naturgemäß Pinto sich öfter in die Offensive einschaltet, defensiv agieren sie aber auf einer Linie und verschieben ähnlich. Schäfer spielt eigentlich neben Josue, aber durch die Rollenverteilung wirklich teilweise „neben“ Diego und fiel mir nicht wirklich positiv auf. Wie kaum einer der Wölfe, mit der Bewertung sollte man also noch warten.

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Pep 11. September 2012 um 08:14

Vielen Dank für deine Einschätzung!

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rodemkay 9. September 2012 um 19:20

Sehr guter Artikel !

Was mir etwas zu kurz kommt, das besonders Huszti nicht nur zusätzlich in der Mitte agierte sondern öfter auch auf der rechten Außenbahn zu finden war. Was schon im letzten Jahr häufig praktiziert wurde mit Stindl und Rausch, die öfter im Spiel die Seiten wechselten.

Ansonsten eine tolle Analyse.

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LJ 9. September 2012 um 17:42

Danke für die interessanten Ausführungen. Anmerken möchte ich noch, dass Artur Sobiech ein enormer Gewinn für das Spiel der 96er war, weil er den Zentralstürmer sehr beweglich, mit viel Arbeit nach hinten und vor allem sehr kopfballstark gespielt hat. Seine Interpretation des „mitspielenden“ Stürmers, gutes Auge für den Nebenmann und schnelle, einfache Pässe, hat das Angriffsspiel der Roten noch effektiver gemacht.

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mischl 9. September 2012 um 15:57

Hallo, erstmal Lob für dn Artikel und schön, dass er noch nachkam.
EIne Sache aber zum unteren Bild von Hannover, mit den Dreiecken.
Schade, dass die Wolfsburger nicht eingezeichnet sind, denn so kann man nicht sagen, wie gut die Passmöglichkeiten nutzbar waren. Alles, was man da sieht, ist, dass die Aufbauspieler nahezu gleichseitige Dreiecke zu Beginn haben als Passoptionen aber letztendlich bringt mir persönlich das nicht viel, weil diese ja gedeckt sein könnten. Bitte um Aufklärung^^

Eine Frage noch zu Olic, da ich mich an ihn gar nicht mehr erinnern kann und noch kein Spiel von Wolfsburg mit ihm gesehen habe, ich ihn aber eigentlich mag. Wie würdest du seine Rolle in dem System vorgeben, dass er seine Stärken besser ausspielen kann?

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DAF 9. September 2012 um 11:46

Guter Artikel, danke dafür!
Folgenden Absatz verstehe ich aber nicht:
„Die Außenverteidiger beteiligten sich im Spielaufbau stark und rückten oft mit Ball am Fuß auf. Allerdings fehlten die dadurch weiter vorne, weswegen die Außenstürmer sehr breit agieren mussten.“
Wenn die Außenverteidiger aufrückten, wieso fehlten sie dann vorne?
Noch ein kleiner Hinweis: Unter Wechselwirkung der Formationen hast du einmal Schäfer in Schuster umbenannt 😉 .

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TW 9. September 2012 um 11:57

Ich hab das so verstanden: Da sie am Aufbauspiel teilnahmen, also den Ball verteilen sollten, fehlten sie vorne außen als Anspielstationen.

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RM 9. September 2012 um 12:48

Richtig! Danke 🙂

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fcblgar 9. September 2012 um 12:29

Das ist übrigens im 2. Abschnitt. Ist kein schlimmer Fehler, aber man muss doch 2-3 mal drüberlesen, bis mans versteht. Vllt könntest du das noch ausbessern.

Ansonsten vielen dank für einen mal wieder sehr gelungenen Artikel

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