Louis van Gaals Einstand bei „Oranje“

Mit einem Testspiel gegen Belgien (2:4) begann eines der interessanten Nationalmannschafts-Projekte der kommenden beiden Jahre: Louis van Gaals zweite Liaison mit dem niederländischen Auswahlteam.

Grundformationen der beiden Teams

Grundformationen der ersten Halbzeit

Der Gastgeber aus Belgien unter dem ehemaligen Schalker Publikumsliebling Marc Wilmots trat mit einer angriffslustigen 4-3-3-Aufstellung an. Auf den Flügeln zogen Chadli und Mirallas immer wieder zum Tor, wobei sie aufgrund der Rolle Eden Hazards, der als beweglicher Zehner spielte, auch immer wieder gemeinsam eine Seite überladen konnten. Im Mittelfeldzentrum spielten mit Defour und Witsel zwei sehr energische Spieler, die den Belgiern ein physisches Übergewicht bescherten.

Ander als bei Bayern München ließ van Gaal bei den Niederländern in dieser Partie mit einem recht klassischen 4-3-3 – also im Mittelfeld mit zwei Achtern vor einem alleinigen Sechser – spielen und brach damit auch mit der Mittelfeldaufteilung seines Vorgängers Bert van Marwijk. Gerade durch den horizontal wie vertikal sehr beweglichen Sneijder, der die halblinke Acht besetzte, entstand allerdings in einigen Situationen – besonders im Pressing – eine 4-4-1-1/4-4-2-ähnliche Struktur, wenn der neue Kapitän weiter zu Huntelaar vorschob. Auf den Außenbahnen spielte Arjen Robben etwas überraschend, wenn auch im Vorfeld angekündigt, auf der linken Seite, während auf rechts mit Luciano Narsingh ein weiterer richtigfüßiger Akteur aufgestellt war. Robben funktionierte auf links allerdings ziemlich gut, war stark ins Spiel eingebunden und verewigte dies auch mit zwei mustergültigen Vorlagen auf dem Papier.

Niederländische Defensivprobleme

In den letzten Jahren war die anfällige Verteidigung immer ein großes Problem der Elftal gewesen, die auch bei der vergangenen EM nicht sicher gewirkt hatte. Mit zwei Tagen Vorbereitungszeit war daher eher wenig an Verbesserung zu erwarten – besonders, wenn man bedenkt, dass van Gaal sicher nicht zu den Trainern zählt, die bei ihrem Antritt sofort damit anfangen, die Defensive zu trimmen.

Das erste Problem war die Viererkette, die viel zu viele Abstimmungsprobleme und Stellungsfehler ihrer Mitglieder offenbarte. In der alles andere als sattelfesten Abwehr stach vor allem Mathijsen unrühmlich heraus, während sich der junge Willems von der allgemeinen Unsicherheit anstecken ließ. Ein funktionierendes Kettenspiel war zu selten zu erkennen.

Allerdings muss man anmerken, dass die Viererkette auch nicht genügend Schutz erhielt und durch Probleme in der Mittelfeldaufteilung besonders unter Druck geriet, wodurch ihre Schwachstellen herausgestellt wurden. Im Zentrum fanden die beiden Achter nicht genügend Kontakt zu de Jong, so dass das Mittelfeld etwas auseinander riss und sich dort Räume für die Belgier ergaben.

Besonders nach Ballverlusten und schnellen Kontern waren diese Probleme ersichtlich. In solchen Fällen waren zudem die beiden Außenstürmer recht weit vor dem Ball und konnten daher nicht helfen. Zwar spielten Robben und Narsingh trotz Richtigfüßigkeit nicht als klassische Flügelstürmer, sondern sehr viel in den Halbpositionen, allerdings bewegten sie sich in schematisch sehr hohen Räumen, um Anspiele hinter die hochstehende belgische Abwehr zu erhalten. Dies hatte etwas mit dem Offensivspiel des Vizeweltmeisters zu tun.

Vertikalstafetten und linksseitiges Überladen

Der Spielaufbau der Niederländer wurde nicht unwesentlich durch ihre 1-2-Stellung im Mittelfeld geprägt. Als alleiniger Sechser hatte der nicht gerade als besonderer Aufbauspieler bekannte Nigel de Jong Probleme, da er keine sichere Anspielstation in seiner Nähe hatte und somit unter Druck geraten konnte. Dies nutzten die Belgier aus und pressten auf den zu wenig reaktionsschnellen de Jong – auf diese Weise wurden viele der oben bereits angesprochenen Ballverluste erzeugt, von denen einer direkt in ein Gegentor (das 2:2) mündete.

Als das Pressing auf de Jong gerade in den Anfangsminuten den Aufbau der Niederländer komplett lähmte und die Belgier ein deutliches Übergewicht gewannen, stellte van Gaal den Aufbau etwas um. Als Alternative wurde de Jong nun mit Vertikalpässen aus der Abwehr überspielt, die entweder direkt auf die beiden Achter oder auf den zurückfallenden Huntelaar kamen, welcher seinerseits dann auf Sneijder oder van der Vaart ablegen sollte. Dies war der Grund für die hohe Positionierung von Robben und Narsingh, die in diesem letzteren Fall direkt an den Schnittstellen spielten, um einen direkt wieder vertikal gespielten Ball hinter die Abwehr erlaufen, nachdem Huntelaar Raum geschaffen hatte.

Zu einem gewissen Maße gab es solche vertikalen Spielzüge auch in van Gaals Bayern-Ära, meistens über die rechte Seite, wenn Robben vertikale Pässe auf van Bommel ablegte, der dann Lahm im Raum freispielte. Dabei muss man allerdings festhalten, dass insgesamt das bayerische Spiel nicht ganz so direkt in die Spitze ging, wie es die Niederländer auch aufgrund des Gegners in dieser Partie machten.

Ein weiterer Aspekt, den man bei den Münchenern unter van Gaal ebenfalls hatte beobachten können, war der offensiv wohl entscheidende Punkt im Angriffsspiel der Niederlande: Mit Sneijder kippte der primäre Spielmacher aus dem Mittelfeldzentrum (Schweinsteiger bei den Bayern) immer wieder auf die linke Seite ab, wo er sich generell wohlfühlt. Hauptsächlich sollte so für Fluidität und verbesserte Kombinationsmöglichkeiten gesorgt werden, doch als netter Nebeneffekt konnte er so den Aufbau über die Flanke aufziehen und damit die Problematik in Bezug auf de Jong ausgleichen.

Besonders durch das Überladen der linken Seite durch Robben, Willems (bzw. Martins Indi in der zweiten Halbzeit) und Sneijder wirkte im Gegensatz zur Defensive das Angriffsspiel der Mannschaft bereits sehr ansehnlich. So war es kein Wunder, dass einige dieser schönen Spielzüge durch die vielen ballnahen Kombinationsmöglichkeiten auch zu guten Chancen und am Ende zu beiden Toren führten. Ganz entscheidend war der bewegliche und spielstarke Robben, der durch die Kombination zweimal hinter der Abwehr freigespielt wurde. Ebenso hatte der zur Halbzeit eingewechselte Bruno Martins Indi große Wirkung auf das Spiel: Mit seiner spielmachenden Ader und seinen inversen Läufen eröffnete er der starken linken Seite eine neue Dimension und war auch am 1:2 durch eine hervorragende Aktion beteiligt.

Fazit

Was kann man erwarten von der niederländischen Mannschaft unter Louis van Gaal? Offensiv machte die Mannschaft bereits einen guten Eindruck, hatte zwar noch etwas Probleme, die berüchtigte Dominanz und Kontrolle als Spielgrundlage zu erzeugen und kam daher „nur“ auf 56 % Ballbesitz, doch gerade die sehr bewegliche Offensive und die sehr guten Ansätze im zweiten und dritten Drittel dürften den niederländischen Fans Hoffnung geben, dass man 2014 eine im Angriff gefährliche und unberechenbare Mannschaft sehen könnte. Mit mehr Training dürfte sich auch das dominante Ballbesitzspiel noch besser durchdrücken lassen.

Die wohl größte Sorge der Niederländer ist nachwievor die unsichere Defensive: Hier muss man allerdings deutlich anmerken, dass frisches Personal die Probleme bereits zu einem gewissen Grad senken wird. Die für die zweite Halbzeit eingewechselten de Vrij und Viergever machten einen besseren Eindruck als ihre Vorgänger und haben ohnehin bereits oft nachgewiesen, dass sie die Zukunft in der niederländischen Abwehr darstellen. Zudem ist ab September auch Twentes eingebürgerter Brasilianer Douglas spielberechtigt, auf den viele Fans große Hoffnungen setzen. Da auch auf den Außenverteidigerpositionen junges und starkes Personal vorhanden ist, liegt es nun an van Gaal, zunächst den Generationswechsel durchzuführen und anschließend eine solide und kollektive Defensive zu formen.

Sehen die Teams so in der Zukunft aus?

Schließlich wird noch zu beobachten sein, wie sich die Strukturierung des Mittelfelds entwickelt – bei einem spielstärkeren Sechser wie Clasie dürfte das 1-2 auch weniger Probleme machen – und ob Robben auf der linken Seite bleibt, auf rechts wechselt oder gar in der Mitte spielt. Nach den sehr guten Eindrücken, die der Bayern-Spieler gerade zusammen mit Sneijder auf links machte, scheint eine dauerhafte Aufstellung in diesem Bereich durchaus realistisch.

Ganz zum Schluss noch ein lobendes Wort zu den starken Belgiern, die noch nicht in kompletter Besetzung antraten und dennoch eine gute Leistung zeigten: Aufgrund ihres jeweils etwas unglücklichen Scheiterns in den Qualifikationen für die beiden letzten Turniere sind die Entwicklungen in Belgien eher wenig beachtet worden. Im Schatten der großen Nationen ist sich dort eine hervorragende Mannschaft voller junger, talentierter und moderner Spieler herangewachsen. Diese Generation, eine gute wie sehr lange nicht, vielleicht wie noch nie in Belgien, war in diesem Spiel nicht nur ein besonders schwerer Gegner für die Niederlande, sondern wird möglicherweise ebenso wie Oranje in zwei Jahren in Brasilien zu den stärksten Teams gehören.

OM 17. August 2012 um 11:52

Klingt irgendwie so, als hätten die Niederlande große Probleme zu verhindern, dass sie als zerrissene Mannschaft spielen, zerrissen zwischen Angriff und Abwehr. Mal sehen, ob LvG das mit einem 4-3-3 in den Griff bekommt.
Spielt denn van der Vaart keine Rolle im Team der Zukunft?

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TR 17. August 2012 um 12:02

Er wird sicherlich noch eine Rolle spielen, doch im Hinblick auf die enorm vielen anderen Spieler, die bei den Niederländern nachkommen, wird er wohl Probleme bekommen, 2014 noch zu den ganz wichtigen Spielern zu gehören – und auf 2014 zielt diese Grafik im Großen und Ganzen eigentlich ab.

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Jx 16. August 2012 um 21:07

Hab den Artikel noch nicht gelesen, aber ich bewundere dich jetzt schon TR für deine geile Autorenbeschreibung! 😀

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Blah 16. August 2012 um 21:46

Hab die Autorenbeschreibung gar nicht gesehen – genial!

Hab das Spiel nicht gesehen. Der Artikel ist trotzdem sehr interessant,

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TR 16. August 2012 um 22:27

Hehe, ich bedanke mich für das Lob für Autorenbeschreibung und Artikel.

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Jx 17. August 2012 um 06:27

Ich kann auch nochmal, nach dem Lesen, ein Lob für den Artikel aussprechen. Wie immer sehr interessant. Ich würde mich jedoch auch nochmal über eine Analyse der Belgier freuen, da ich auch der Meinung bin, dass die bei der WM eine Überraschung sein könnten.

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xyz 16. August 2012 um 18:43

Finde es schade, dass du wenig zu den Belgiern geschrieben, wenn du schon der Meinung bist, sie könnten in Brasilien eins der stärksten Teams sein 😉
Vllt wär ja mal ein Special möglich eben weil die Entwicklung dort nicht wirklich beachtet wurde 😉

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