Irland – Kroatien 1:3

Diese Partie stand im Schatten des ersten Spiels in der Gruppe C. Ob Experten oder Laien, kaum jemand erwartete sich vor diesem Spiel ein Spektakel oder gar einen möglichen Überraschungskandidaten. Gegen Italien und Spanien sehen sie wohl kein Land und die Iren beschränken sich ohnehin nur auf das Verteidigen – so lautete der Grundtenor. Stattdessen konnten starke Kroaten mit einem neuen Offensivkonzept beobachtet werden, welche die Defensivorientierung der Iren sofort zunichte machten. Es war kein Fußballfest, aber aus den verschiedensten Gesichtspunkten eine durchaus interessante Partie.

Die Aufstellungen

Die „Feurigen“ Südosteuropäer begannen etwas überraschend mit Rakitic auf der rechten offensiven Außenbahn, was für Srna eine Beorderung auf die Position des offensiven Rechtsverteidigers bedeutete. Der perfekt beidfüßige Perisic gegenüber bedeutete einen Traditionsbruch der Ära Bilic. Sie spielten in der Regel mit einer asymmetrischen Formation, welche nun nicht mehr gegeben war. Stattdessen konnte über beide Flügel diagonal, invers oder breit angegriffen worden. Links wurde Perisic bei seinen nach innen ziehenden Bewegungen von Strinic hinterlaufen, was zwei offensive Außenverteidiger bedeutete. Oftmals sahen sich die Innenverteidiger sehr breit auseinander und agierten darum bisweilen unsicher. Ähnlich zu diesem abwechselnd asymmetrischen 4-4-2 mit dem Sturmduo Jelavic und Mandzukic organisierten sich die Iren. Ihr 4-4-2 war jedoch nicht in der horizontalen Ebene asymmetrisch, sondern veränderte sich vertikal.

Robbie Keane wich einige Male auf die Flügel oder ins Mittelfeld, was Doyle als Alleinunterhalter vorne alleine ließ. In der Offensive kristallisierte sich somit eine 4-2-3-1/4-3-3-Formation heraus, was McGeady und Duff näher zum Tor bringen sollte. Die beiden konnten nun den Abschluss suchen und wurden von den Außenverteidigern hinterlaufen – der ehemalige Chelsea-Star Damien Duff allerdings deutlich seltener. Alles in allem positionierte sich Irland klassisch, versuchte ein Flügelspiel aufzuziehen und mit einem aufrückenden Zentralen, zumeist Andrews, für Gefahr in der gegnerischen Abwehr zu sorgen. Im Spielaufbau präsentierten sich die Iren ideenlos, was sie einige Male zu unnötigen Befreiungsschlägen zwang. Kroatien nutzte dies und zeigte auf der anderen Seite, wie man es besser macht.

Die klassische Sechs als tiefliegender Spielmacher

Erwartungsgemäß fungiert ein Spielertypus á la Modric als Spielmacher von hinten heraus, falls die Innenverteidiger Entlastung und Unterstützung benötigen. Slaven Bilic setzte jedoch auf Vukojevic. Die Ursache dahinter: mangelndes Pressing der Iren. Da das 4-4-2 der gegnerischen Mannschaft weit auseinander gezogen und in der Defensive klassisch umgesetzt wurde, konnten die Innenverteidiger mit Vukojevic problemlos von hinten herausspielen. Der Spielaufbau gestaltete sich einfach, weswegen Bilic lobenswert auf Modric im zweiten statt ersten Spielfelddrittel baute.

Grundformationen zu Spielbeginn

Weiter hinten wäre er verschwendet gewesen, da ihm aufgrund der mangelnden Kompaktheit der Iren sowie seiner Mitspieler kaum Zugriff auf die entscheidenden Bereiche erlaubt gewesen wäre. Mit Vukojevic hatten die Kroaten hinten Überzahl und Absicherung bei Kontern, wenn der Ball auf Außen verloren ging. Der rustikale Sechser ist technisch solide, was bei dem geringen Druck des Gegners für diese Aufgabe ausreichte. Mit fortschreitender Spieldauer ging er jedoch vermehrt nach rechts, um dem im Passpiel überlegenen Corluka mehr Freiheiten und Zugriff auf das Mittelfeld zu erlauben. Superstar Modric konnte seinerseits ebenso eine passendere Rolle ausüben.

Verbindungsspieler und Akteur ohne Ball

Um diese weiten Räume zu überbrücken und vor Kontern gesichert zu sein, hatte Modric eine taktisch anspruchsvolle Aufgabe vor sich. Seine Vorstöße mussten zeitlich dosiert sein, um die breite Innenverteidigung beim Aufbauspiel nicht alleine zu hinterlassen. Ebenso sah er sich beim Aufrücken zwei Gegenspielern gegenüber, was ihn nach vorne isolierte. Seine Pässe gingen darum oftmals auf die Flügel und er schien teilweise von den Mittelstürmern isoliert zu werden. Nach dem Abspiel bewegte er sich in eine Halbposition, damit er defensiv sofort eingreifen konnte. Einerseits um eine sichere Anspielstation nach hinten mit anschließendem Seitenwechsel zu bieten, um die Ballorientierung der Iren auszuhebeln. Andererseits konnte er bei Ballverlusten sofort am Gegenpressing teilnehmen oder Vorstöße über die Flügel, welche die Iren forcierten, abfangen. Im Endeffekt war Modric der einleitende Faktor in beide Richtungen. Er gab den Befehl zum Attackieren oder zum Zurückziehen und wählte bei der Angriffseinleitung die Spielzüge aus. Ausnahme bildeten die Phasen, wenn Irland sich höher positionierte. Hierbei hatte Bilic seinerseits eine Idee.

Fokus auf die rechte Seite

Es war wohl nicht wegen des defensivschwächeren McGeady auf links, sondern vielmehr, um die eigenen Schwächen zu kaschieren. Auf links besitzen die Kroaten mit Strinic einen Schwachpunkt in ihrer Mannschaft, während rechts mit Srna einer der wenigen Spieler agiert, der unumstritten zur internationalen Klasse gehört. Im Verbund mit dem technisch versierten Rakitic auf seiner Seite konnte ein sicheres Aufbauspiel aufgezogen werden. Rakitic hatte nach Ballannahme mit Modric in einer etwas nach links orientierten Halbposition eine quere Anspielstation oder konnte nach Möglichkeit den startenden Srna einsetzen.

Weitergedacht hatte diese Variante einen großen Vorteil: Jelavic und Mandzukic wurden vom ebenfalls kopfballstarken Perisic unterstützt, was der Effektivität von Srnas Flanken einen Schub verleihen sollte. Die stärkste Asymmetrie in den Angriffsabläufen der Blauen entstand dann, da Perisic als verkappter dritter Stürmer agierte und Rakitic sich halbrechts zu Modric als Spielgestalter gesellte. Um diese Qualität im Luftzweikampf zu nutzen, bedienten sich die Kroaten generell vieler Halbfeldflanken. Neben dem Dauerdruck auf die Innenverteidigung provozierten sie ebenfalls den Spielaufbau der Iren. Dieser ist eine ihrer Schwächen und beschnitt sie in ihrem Offensivverhalten. Anstatt sich nach Balleroberungen auf den Flanken auf Konter über ihre schnellen Flügel zu konzentrieren, hingen sie hinten fest und mussten Abstöße oder hohe Bälle zu ihren wenig kreativen Sechsern erdulden.

Durch die Halbfeldflanken hatten die Kroaten auch nur selten zur Grundlinie durchstartende Außenspieler, die hinten fehlten. Sie konnten Kraft und Raum sparen, wovon die defensive Stabilität profitierte. Beinahe verzweifelt wirkten die langen Diagonal- und Vertikalbälle auf die Außenbahnen, welche von den Grünen geschlagen wurden. Kroatien ließ sich dank ihrer Führungen selten dazu verleiten, Überzahlsituationen einzuleiten und spielten mit dem weniger Erfolg, dafür aber mehr Stabilität versprechenden Schema zweier Angreifer, die zumeist von den ballseitigen Flügelspielern unterstützt wurden. Wie erwähnt bildete Perisic dank seiner Kopfballstärke eine Ausnahme, dank Modric auf seiner gelernten Position im linken Mittelfeld konnte dieses Loch taktisch abgefedert werden. Es wurde für die Iren sogar in der Defensive zu einem Problem, was dank Glück und dem Flankenfokus auf Mandzukic nur selten offen schien.

Das linienangepasste 4-4-2 in klassischer Ausführung

Eingedrängt in die eigene Hälfte organisierten sich die Iren sehr tief und kompakt. Bei ihrem angedeuteten Mittelfeldpressing ließen sie jedoch die Räume zwischen den Linien auseinander stehen, was bei schnellen Kombinationen und Vorstößen des Gegners gefährlich war. Vermutlich wollten sie die einzelnen Mannschaftsteile des Gegners voneinander abschneiden und versuchten weite Pässe auf die offenen Räume vor der Abwehr zu provozieren. Der Plan sah dann vor, schnell kompakt zu werden und dadurch den Ball mit Überzahlsituationen zu gewinnen. Gelang dies, stand der Gegner in seiner breiten Formation unorganisiert und es konnte auf die zwei Mittelstürmer in den Halbpositionen oder in die freien Räume vor den Außenstürmern gekontert werden.

so attackierte Irland - wenig Druck auf den Ballführenden, Modric im Deckungsschatten und somit Provokation von langen Bällen, die aber nicht kamen. Srna oder Modric (mit intelligenten Läufen in den Raum) kümmerten sich dann um die Fortführung des Angriffes, ohne in die irländische Falle zu tappen

Allerdings ließ sich Kroatien selten zu den langen Bällen auf Jelavic und Mandzukic hinreißen, dafür organisierte Modric das Spiel zu vorausschauend. Er vermied damit, dass Jelavic und Mandzukic sich durch ein schnelles Zusammenrücken der irischen Abwehr und Mittelfeld leicht gepresst und unter Bedrängnis hohe Bälle verarbeiten mussten. Dies war die Ursache, warum die kroatischen Innenverteidige so viel Zeit zum Spielaufbau erhielten, man erwartete schwache lange Bälle in die offenen Räume von ihnen, doch der Fokus auf Modric als primären Spielgestalter bewahrte sie vor einem schweren Tag. Ganz im Gegenteil zum Angriffspressing der kroatischen Elf.

Anlaufen im 4-3-3

Ein letzter Aspekt im Spiel waren die Probleme der Iren im Aufbauspiel, welche durch die Kroaten verstärkt wurden. Sie pressten leicht auf den ballführenden in einem 4-3-3, wobei Modric sich ebenfalls zentral miteinschaltete. Es entstand somit ein 4-1-2-3, wo der ballferne Mittelstürmer sich in einer Halbposition zwischen Außen- und Innenverteidiger positionierte. Bei einem guten Querpass zog er sich zurück, bei einem schwachen konnte er pressen und auf den nominellen Achter hinter sich hoffen. Bei Ballgewinn vor dem Querpass des ballführenden Innenverteidigers stand er sofort für einen Diagonalpass bereit und half dabei, den zweiten Innenverteidiger vor die allesentscheidende Frage zu stellen: Attackieren oder Abwarten?

Der ballnahe Flügel schob auf den Außenverteidiger vor sich und der Mittelstürmer attackierte den Ballführenden. Vukojevic auf der Sechs verschob zeitgleich horizontal mit und fungierte als Absicherung, während der ballferne Flügel sich etwas tiefer fallen ließ, um Diagonalpässe zu einem aufrückenden Außenverteidiger verhinderte. Desweiteren konnte er seinen vertikalen Partner in der Defensive beim Doppeln gegen die gefährlichen Flügelstürmer Irlands unterstützen und ihnen die Laufwege nach innen zusperren. Darum konzentrierten sich McGeady und Duff gezwungenermaßen auf relativ klassische Rollen und flankten oft.

Robbie Keane bewegte sich darum noch stärker nach hinten und zu den Flügeln. Er wollte mit seinen Bewegungen das Loch vor den Sechsern füllen sowie Räume für die Außenstürmer öffnen. Dies gelang kaum und er wurde durch Vukojevic von Doyle isoliert, der weit vorne als Tiefenschaffer fungieren musste. Er stand alleine auf weiter Flur, was für seine Auswechslung hauptverantwortlich war. Walters und Cox sollten für mehr Bewegung als Doyle und McGeady sorgen, aber das gelang kaum. Irland wurde von souveränen Kroaten besiegt, deren Konzept mit den vielen Flanken aufging.

Zusammenfassung

  • Kroatien verändert die Asymmetrie ihrer Flügel und agiert flexibel im Angriffsspiel
  • Sie konzentrieren sich auf Halbfeld- und normale Flanken, um ihre kopfballstarken Spieler einzusetzen
  • Modric intelligent, aber wenig spektakulär und oftmals unauffällig in seiner Spielweise
  • Irland durch die Führung der Kroaten aus dem Konzept gekommen, Fokus auf ein schnelles Flügelspiel und Konter
  • Keane bewegte sich viel, hatte aber nie Akzente setzen können
  • Vorne fehlte es an einer Anspielstation, seitlich wurde man abgedrängt und die Sechser waren bei der Trapattoni-Elf ohne Kreativität
  • Kroatien tappte nicht in die Falle mit den breiten Linien, sondern spielte ihr System rücksichtslos weiter
  • Mit Rakitic und Modric bildete sich teilweise eine Doppelacht mit aufrückenden Außenverteidigen und Perisic als verkapptem Stürmer

Fazit

Die Kroaten gewannen mit etwas Glück in der Nutzung ihrer Chancen und in der Defensive diese Partie verdient. Nachdem sie das Defensivkonzept Irlands mit ihrer Führung zerschlugen, zeigten sie taktisches Geschick, indem sie mit simplen und antizipativen Kniffen Trapattonis Mannschaft besiegen konnten. Die Iren verzeichneten ihrerseits zumeist nur Halbchancen oder Möglichkeiten nach individuellen Fehlern. Ihnen fehlte ein Plan B, um sich an eine neue Spielsituation anzupassen und darum kann auch nur wenig Auskunft darüber gegeben werden, wie sie sich in den nächsten Partien schlagen werden. Mit dieser Niederlage starteten sie denkbar schlecht und es scheint, als ob die offensiv orientierten Kroaten den Konkurrent für die zwei Weltmächte in dieser Gruppe darstellen werden.

 

Happo 12. Juni 2012 um 15:04

Bei der letzten Grafik steht „Irländer“. Selbst wenn diese Schreibweise möglich ist, so verwendet Ihr im Text oftmals die Begrifflichkeit „Iren“, für die Einheitlichkeit des Textes besser nur eins nehmen.

Dazu würde eine Teilung der Zusammenfassung auf die beteiligten Länder (die übrigens eine super Idee an sich ist!), der Übersichtlichkeit dienen,
z.B.: „Vorne fehlte es an einer Anspielstation, seitlich wurde man abgedrängt und die Sechser waren bei der Trapattoni-Elf ohne Kreativität „.
Es erschließt sich erst im letzten Teil des Satzes, auf wenn man sich bezieht. Es wäre angenehmer einen Abschnitt der Zusammenfassung zu Irland zu lesen, einen zu Kroatien.

Ansonsten großes Lob, wie immer ein guter Artikel von euch, weiter so!

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Chris 11. Juni 2012 um 13:39

Erstaunlich finde ich, wie wenig den Iren (dem entsprechend „irisch“, nicht „irländisch“!) zugetraut wird. Natürlich sind diese in ihrer Spielweise doch eher behäbig und erscheinen limitiert. Wenn ich mir den Kader ansehe, kann ich nicht so recht glauben, dass dieses Team so wenig auf dem Kasten haben soll. Und an Laufarbeit, Disziplin und Herz mangelt es ihnen sicher nicht. Ich traue ihnen gegen Italien und Spanien ein Remis zu.

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dajayjay 11. Juni 2012 um 10:30

Schöne Analyse

Hab das Spiel nur halbherzig beobachtet und andere Sachen nebenher gemacht, da mich der Ausgang wenig bis gar nicht interessierte, daher kann ich kaum auf taktische Belange eingehen.

Was mir am Spiel am besten gefallen hat, waren die irischen Fans. Da wurde mit Begeisterung jede Abwehraktion bejubelt, auch wenn ein irischer Verteidiger einfach nur den Ball ins aus gedroschen hat. Hinzu kommt noch die Mentalität der irischen Spieler, die sich nach einem relativ harmlosen Foul nicht minutenlang auf dem Boden wälzen, sondern sofort wieder aufstehen und weitermachen.
Beides ist, mMn, im modernen internationalen Fussball sehr selten geworden. Von daher wünsche ich den Iren, dass sie weiterkommen, auch wenn es eher unrealistisch ist.

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Yogi Löw 11. Juni 2012 um 12:32

Ja, die beiden anderen (beliebtere) Nationalsportarten sind ja Rugby und Gaelic Football – da darf man natürlich nicht irgendwie als Weichei auffallen 😀

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