Hamburger SV – Bayer 04 Leverkusen 1:1

Formschwäche und mentale Blockaden als Sinnbild für eine mäßige Bundesligapartie. Beide Mannschaften trauten sich teilweise zu wenig und konnten nie konstant eine gute Leistung zeigen. Die Leverkusener lebten ohnehin erst in der zweiten Halbzeit auf, während die Hamburger zwar das Spiel in der ersten Stunde kontrollierten sowie defensiv durchaus gut standen, sich offensiv aber nicht eingespielt genug zeigten. Ein Tor nach einem Elfmeter und viele Schüsse ins Nirgendwo waren letztlich ihre Ausbeute, aber zuhause war dies nicht genug gegen die Mannschaft von Bayer, welche durch Schürrle zum 1:1 kam. Letztlich war die Punkteteilung wohl mehr oder minder gerechtfertigt, wenngleich die Leverkusener etwas kämpferischer und die Hamburger etwas überlegener auftraten. Eine gute Partie konnte man dennoch beiden Mannschaften nicht attestieren und sie scheinen in einem sehr unguten Trott festzuhängen. Die letzte Überzeugung, das Selbstbewusstsein und die Dynamik in den Aktionen sind eine Sache, dass man sogar nur Ansätze sporadisch zeigen kann, ist eine andere. Diese Probleme sind wohl hausgemacht und scheinen in den Köpfen zweier eigentlich sehr talentierter Mannschaften zu spuken.

Wechselwirkung der jeweiligen Formationen – mit Fokus auf die Hamburger

Die Gastgeber begannen mit einem 4-4-1-1. Hierbei spielte Marcus Berg ganz vorne und für einen alleinigen Mittelstürmer erfüllte er seine Rolle durchaus akzeptabel, versuchte Räume zu öffnen und Lücken zu reißen, allerdings fehlte die kollektive Unterstützung von hinten. Desweiteren tat er sich gegen Friedrich und Töprak natürlich schwer, die beiden konnten sich auf ihn konzentrieren und erhielten gegen Petric Hilfe von Reinartz, der ja bekanntlich auch oft auf der Position des Innenverteidigers gespielt hatte. Damit stand man defensiv relativ sicher und kompakt, konnte also die beiden Stürmer mehr oder weniger gut aus dem Spiel nehmen.

Grundformationen zu Spielbeginn

Über die Außen hatten die Hamburger mit Jansen einen Spieler, der weder Fisch noch Fleisch ist. Kein Außenverteidiger (weswegen er auf dieser Position seit Ewigkeiten nicht mehr konstant aufläuft), aber letztlich eben auch kein Flügelstürmer. Zwar zeigt er in Form durchaus gute Spiele, es fehlen jedoch die Synergieeffekte mit seinen Mitspielern. Die aufrückenden Innenverteidiger, die Fink mit seiner Formation zu erreichen versucht, können ihn nur schwer hinterlaufen, nach innen ziehen kann Jansen mit seinem schwachen rechten Fuß nicht effektiv. Über die Außen kommen zwar manchmal sehr gute Flanken, seine Diagonalläufe in den Strafraum sind ebenfalls gut. Hier fehlte es allerdings an der unterstützenden Komponente beim HSV. Keiner der Stürmer ist ein Kopfballungeheuer und da man zumeist mit nur einem Fixpunkt vorne agiert, benötigt man nach Flanken zu viele Versuche, um etwas Zählbares zustande zu bringen. Die Chancen sind zwar da, gehen aber über das Tor oder sind zu harmlos, um wirklich Gefahr zu entfachen.

Auf der rechten Seite ist das allerdings ein noch größeres Problem. Mit Sala hat man einen relativ guten Spieler, die Spieler dahinter kommen allerdings nicht wirklich in Form. Einmal mehr zeigte Ilicevic, dass er kein Spieler von internationaler Güte ist. Sein Talent ist unbestritten, er besitzt eine gewisse Athletik und Fähigkeiten im eins-gegen-eins, doch im Kollektivspiel ist er oftmals zu ungenau. Seine Pässe kommen nicht an, seine Konzentration lässt zu wünschen übrig und die Kombinationen mit den Außenverteidigern sind ebenso schwach – was nicht sein müsste. Mit seinem oftmals inversem Spiel würde er theoretisch gute Räume auf der Außenbahn öffnen, letztlich kann er dann aber nicht die Verbindung zur Seite aufbauen, da er den richtigen Zeitpunkt für einen Pass zu oft verpasst. Gegen Kadlec hatte er ohnehin schweren Stand, der Linksverteidiger von Bayer gewann exorbitant viele Zweikämpfe und zeigte sich auch offensiv eindrucksvoll. Mehrmals ging er nach vorne und machte das Spiel breit, half Augusto vor ihm und war einer der besseren Spieler auf dem Platz.

Petric im Zentrum ist ein weiteres Beispiel für einen guten Spieler und eine gute Idee des Trainers, doch sogar er ist etwas suboptimal. Zu athletisch, um aus der Tiefe zu kommen und vorne für Gefahr zu sorgen; zu sehr Stürmer, um hinten das Spiel mitaufzubauen. Diese Aufgabe übernimmt dann Jarolim, der die beiden Außenverteidiger nach vorne schickt und dadurch eine breite Formation ermöglich. Der Tscheche ist ein sehr passsicherer und defensiv guter Spieler, in seiner Entscheidungsfindung jedoch nicht der beste. Manchmal versucht er unmögliche weite Bälle, hin und wieder versteift er sich zu sehr auf ein von Sicherheitspässen geprägtes Spiel, welches durchaus passend wäre – wenn sein Nebenmann die kreativen Aufgaben auf hohem Niveau übernehmen könnte.

Dies zwingt Westermann in einigen Spielen dazu, sich nach vorne miteinzuschalten und beschreibt ein Symptom des Grundproblems der Hamburger: zu wenig Kreativität und Dynamik im Spiel nach vorne, spätestens ab der gegnerischen Hälfte.

Ein paar Punkte zu den Leverkusenern

Das 4-3-3, welches man bereits unter Dutt einige Male ausprobierte, scheint eigentlich eine sehr gute Lösung zu sein. Reinartz, Rolfes, Ballack und Bender können eigentlich alle drei Positionen in diesem System bekleiden, ob man es mit einer Doppelacht mit Punkt nach hinten oder einer Doppelsechs mit Punkt nach vorne spielt. Problematisch ist allerdings bei beiden, wer den kreativen Part übernimmt. Barnetta spielte diesen übrigens kurzzeitig in der zweiten Hälfte, bevor man auf ein 4-4-2 mit Derdiyok und Bellarabi vorne umstellte. Sehr interessant wäre eine Mischung der beiden Systeme im Mittelfeld, somit würde man mit einem Sechser (Bender/Reinartz) agieren, davor einem weiteren Spieler, der als box-to-box-Akteur fungiert. Er deckt Räume, entscheidet über die kollektive Ausrichtung und verbindet die Mannschaftsteile. Sowohl Rolfes als auch Ballack könnten dies spielen, wenn sie den kreativen Teil weitestgehend einem Zehner á la Augusto oder Barnetta überlassen.

Bayer beim Aufrücken über eine Seite - Leno geht etwas mit nach vorne, die Verteidiger bilden eine verschobene Dreierkette, die von Rolfes und Reinartz unterstützt wird. Ballack bietet sich an (oder lässt sich fallen, wenn Rolfes aufrückt, dann geht Reinart weiter zur Seite und die Dreierkette wird enger). Augusto bietet sich für einen Doppelpass an. Falls Kadlec verfolgt werden würde und im Zentrum Raum offen ist, kann er allerdings auch nach innen ziehen und abschließen. Schürrle bietet sich sowohl für weite Flanken als auch einen theoretischen Spielzug über Augusto und Ballack an, während Kießling sich weiter nach vorne orientiert. Interessant ist die Diagonale zwischen Schürrle, Ballack, Reinartz und Töprak. In gewisser Weise verhindert diese diagonale Viererkette leichte Pässe auf die offene Seite. Würden die drei Spieler davor eine Dreierkette bilden und sofort aggressiv dagegen pressen, gäbe es eine diagonale 4-3-Formation, welche oft als ideal für ein Pressing angesehen wird. Lustige geometrische Zufälle in der Welt der Mikrotaktik

Renato Augusto kam dieses Mal über links und nutzte Kadlecs Offensivläufe, um sich teilweise spielgestalterisch ins Zentrum zu orientieren. Ähnlich tat es Kroos im 4-4-2 bei den Leverkusenern bei seiner Leihe, hier hatte man aber mit zwei Stürmern vorne und einem weiteren kreativen auf dem gegenüberliegenden Flügel durchaus das Anrecht auf eine defensive Doppelsechs. Hyypiä sollte sich deswegen überlegen, ob man wirklich mit den beiden Routiniers vor Reinartz spielen möchte. Durchaus möglich, dass die beiden mit ihrer Erfahrung und ihrer körperlichen Fähigkeiten das Spiel letztlich das Spiel sprichwörtlich nach vorne drücken, ein Umdenken wäre allerdings langfristig nötig. In gewisser Weise bietet der Ballack-Abgang somit eine Chance für eine Veränderung der Mannschaftsformation, ohne jemandem auf den Schlips zu treten. Vielleicht will das Interimstrainerduo diese Zeit auch nur möglichst überbrücken.

Ein weiterer Punkt zu diesem Spiel: mit drei Mann im Mittelfeld konnte man jederzeit das Tempo in der Defensive diktieren. Zwar hatten die Hamburger mit dem tieferen Spieler im Mittelfeld und den relativ freien und engen zwei Flügeln im Spielaufbau gewisse Vorteile, da sie den Ball um attackierende Gegenspieler umschiffen konnten, ab der Mitte stand man jedoch ziemlich alleine gelassen da. Je nach Spielsituation konnten die drei Spieler Leverkusens die Außen pressen, sie den eigenen Flügeln überlassen oder aufrücken und bereits in der Mitte agieren. Hier würde dann Reinartz absichern oder man bildete gar eine 2-1-Formation in der Mitte, um Schnittstellen zuzustellen. Mit numerischen Überzahl hatten die Hamburger selten Anspielstationen im letzten Drittel, die ohne Bedrängnis abschließen konnten.

Fazit

Kein tolles Spiel, wobei die Leverkusener in der zweiten Hälfte die ein oder andere taktisch gute Idee zeigten. Die Hamburger bewiesen, dass man eigentlich einen guten Trainer und eine solide Mannschaft hat, die Spielertypen aber oftmals suboptimal für ihre jeweiligen Aufgaben und ihre Mitspieler sind. Die beiden Teams müssen nun sehen, wie sie ein neues oder angepasstes taktisches System sowie eine mentale Veränderung der Spieler erreichen sowie ob und wie man die Spieler in der Transferphase austauschen möchte.

 

Pep 10. April 2012 um 20:19

„Bayer beim Aufrücken über eine Seite“. Geschah dies immer in dieser Formation? Diese Erklärung von Stichprobenstellungen kann ich irgendwie nicht nachvollziehen, da gibt es doch dann einige hunderte solcher Schemas.
„Die Leverkusener etwas kämpferischer und die Hamburger etwas überlegener auftraten“ was heisst überlegener? In der körpersprache? Technisch? Oder war überlegter gemeint?
Vielen Dank für die Analyse 🙂

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Pep 10. April 2012 um 15:57

Mit Dutt wären es w0hl 0 oder 3 Punkte gewesen, mit Hyppiä halt 1.
Weiß auch nicht ob ich bezüglich Ballack lachen oder weinen soll? Nun soll es also jemand richten, der nicht nur einen imensen Trainings- und Spielrückstand hat sondern auch noch in wenigen Spielen den Verein auf nimmerwiedersehen verlässt und der Möchtegernboss Holzkopf wohl Leverkusen lieber auf Platz 10 sieht als eine gelungene Rettungsaktion durch den von ihm so genannten Fehleinkauf… auf die Zukunft!

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Stuf_03 10. April 2012 um 10:27

Ich hab das Spiel leider nicht verfolgen können. Nun stell ich mir die Frage, ob Fink etwa von seinem System des abkippenden Sechsers abgewichen ist, in den anderen HSV-Analysen ist das ja immer mit einem Pfeil nach hinten zwischen die IV, bzw. Pfeilen nach vorne bei den AV´s dargestellt gewesen? Insofern verwundert mich auch die Bezeichnung des Spielsystems als 4-4-1-1, da Fink normalerweise mit echten 2 Stürmern spielen lässt, um eben die vielen Flanken verwerten zu können. Außerdem sind Berg und Petric keineswegs Kopfballschwach!

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MichiSchmitz 10. April 2012 um 17:49

Nein er hat am 3-5-2 spielaufbau festgehalten

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Bastrup 9. April 2012 um 20:05

Der Beitrag bewertet den HSV zu negativ. Im Mittelfeld hat die Mannschaft sehr gut Bälle erkämpft und damit Übergewicht geschaffen. Das konnten wir leider offensiv nicht umsetzen, da wir rechts und aus der Mitte (da stimme ich vollkommen zu) zu ungefährlich sind. Wäre schön, wenn Töre endlich wieder startet. Er bringt die anarchischen Momente ins Spiel, die uns sonst leider komplett fehlen.

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RM 9. April 2012 um 20:55

Im Nachhinein ließt es sich durchaus negativ, ja. Hier liegt der Hund meiner Meinung nach begraben, dass ich etwas zu allgemein an die Sache heranging – denn der HSV hat eigentlich einen Platz weiter oben verdient, was Historie, Tradition und auch den Trainer betrifft. Die Kaderzusammenstellung ist letztlich suboptimal und selbst bei einer guten kämpferischen Leistung (habe die erste Halbzeit sowie die räumliche und spielerische Überlegenheit ja gelobt bzw. zumindest angeschnitten) fehlt es im eigenen Stadion an dem Ticken Synergien und Kombinationsspiel, um den guten Ideen und der Einstellung das nötige Ergebnis zu verleihen.

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Rudelbildung 9. April 2012 um 21:03

Was den Trainer angeht finde ich, dass man aufpassen muss. Fink hat in Basel überragende Arbeit geleistet, ohne Frage, aber wie ihr auch erläutert habt muss man jetzt erstmal abwarten, wie er darauf reagiert, dass die Gegner sein System und dessen Schwächen, mittlerweile auf dem Radar haben. Was die Kaderanstellung angeht bin ich bei dir, aber hier muss man denke ich gleichzeitig bedenken, dass man nach kurzer Zeit den Trainer gewechselt hat, und Fink also sozusagen mit „Oennings Kader“ spielt. Dieser hatte ja auch einen anderen Zugang zum Spiel, was man unter anderem an den Ballbesitzwerten des HSV vor und nach Oenning sehen kann.

Von daher gebe ich dir bedingt recht mit der Zusammenstellung des Kaders, für Oenning evt. was er haben wollte (von auszugehen, da er der Trainer war), für Fink nicht und im Januar ist es ja schwierig soviel am Kader zu verändern (und zu dem Zeitpunkt lief es ja auch noch gut, meine 8-9 Spiele ungeschlagen?).

Wo ich dir 100% recht gebe ist, dass die Automatismen und das nötige Kombinationsspiel fehlen im Hamburger Spiel. Einige der Gründe sprichst du in dem Artikel, der sich tatsächlich auffällig negativ liest, an und da bin ich auch wieder bei dir. Es wird interessant zu sehen, was der HSV im Sommer tun wird.

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RM 9. April 2012 um 22:11

Die Kritik an der Kaderzusammenstellung war allerdings auch ein kleiner Freibrief beziehungsweise eine Entschuldigung für Fink, den ich nachwievor für den passenden und einen sehr guten Trainer halte. Wie gesagt, der Artikel ist im HSV-Absatz etwas allgemeiner ausgefallen und nach einer solchen Saison oder besser gesagt: nach den letzten paar Jahren wirkt dieser, zugegeben etwas übertrieben nach einem Unentschieden gegen Leverkusen und einer teilweise soliden Partie, übertrieben negativ.

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MR 9. April 2012 um 17:03

„Sehr interessant wäre eine Mischung der beiden Systeme im Mittelfeld, somit würde man mit einem Sechser (Bender/Reinartz) agieren, davor einem weiteren Spieler, der als box-to-box-Akteur fungiert. Er deckt Räume, entscheidet über die kollektive Ausrichtung und verbindet die Mannschaftsteile. Sowohl Rolfes als auch Ballack könnten dies spielen, wenn sie den kreativen Teil weitestgehend einem Zehner á la Augusto oder Barnetta überlassen.“
– Zitat Robin Dutt 😛

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RM 9. April 2012 um 17:29

Quelle?

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tali 9. April 2012 um 19:05

Er hat mal gesagt dass er einen Kreativen, einen Kämpfer und einen Mischtyp im Mittelfeld möchte.

Und noch eine Anmerkung (habe ich schonmal zu Beginn der Saison gemacht): Der IV heißt „Toprak“, nicht Töprak.

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RM 9. April 2012 um 20:53

ah ok, verstehe. Danke dafür und auch für die Korrektur des Herrn Toprak!

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