TSV München 1860 – FC St. Pauli 1:1

Im Montagsspiel der zweiten Bundesliga trafen die Münchener Löwen und der FC St. Pauli in einer richtungsweisenden Partie aufeinander.

Grundformationen

Während die Gäste mitten im enorm engen Aufstiegsrennen stecken, haben sich die Bayern in letzter Zeit mehr und mehr zu einem Topteam ihrer Spielklasse gemausert. Heimlich, still und leise kämpften sich die Löwen nach oben und hatten durchaus Chancen, noch einmal ins Rennen um die Plätze für das Oberhaus einzugreifen, doch konnte man den vielleicht sogar zwingend benötigten Sieg nicht erreichen und wurde stattdessen durch das Remis zurückgeworfen.

Es war eines dieser ambivalenten Spiele, von denen man nicht weiß, wie man sie einordnen soll. Wie schon in letzter Zeit beispielsweise die Partie zwischen Dortmund und Leverkusen oder das Römer Derby war dies auf der einen Seite enorm spannend sowie eng und bot in taktischer Hinsicht wirklich einige interessante Punkte, doch auf der anderen Seite war die spielerische Qualität, die Kreativität und auch die Anzahl und Qualität der Torchancen relativ gering und damit wohl auch der Unterhaltungswert.

Welche Aspekte waren für diese Tatsache ausschlaggebend? Die Analyse in 4 Punkten:

1. Generelle Defensivstärke

Angesichts der Tatsache, dass hier die beiden derzeit besten Abwehrreihen der 2. Bundesliga aufeinandertrafen, konnte man kein berauschendes Spiel erwarten. Die Löwen bildeten zwei grundsolide Viererreihen, konnten durch eine relativ hohe Abwehr den Raum zu Beginn des gegnerischen Spielaufbaus gut verdichten und wollten die zentralen Aufbauspieler der Paulianer in diesem Konstrukt einzuschließen. Falls sie sich fallen ließen, rückte Bierofka aufmerksam mit heraus, so dass die Hamburger ihren Ballbesitz meist hinten verbuchten.

Oftmals wurden die wenigen durchkommenden Angriffe meistens von den beiden durchaus robusten Innenverteidigern abgeräumt, was im Besonderen auf Hereingaben zutraf. Hier spielten individuelle Klasse und eine gute Organisation eine große Rolle – diese war auch auf der anderen Seite bei den herausragend verteidigenden Zambrano und Thorandt zu sehen, die ebenfalls viele Bälle klären konnten. Bei den Gästen lässt sich diese Liste allerdings ohne Einschränkungen auch auf die anderen vier primären Defensivspieler erweitern.

2. St. Paulis Pressing

Das beeindruckendste Defensivwerkzeug war bei den „Kiezkickern“ allerdings ihr Pressing, welches die Hausherren kaum ins Spiel oder zur offensiven Entfaltung kommen ließ. Grundsätzlich formierte man sich ebenso in einem 4-4-2, doch schon bei den Stürmern war ein Unterschied zu erkennen, da diese wesentlich aktiver, engagierter und kollektiver gegen die Innenverteidiger vorgingen und konsequent Zuspiele auf die Außenverteidiger provozieren wollten. Auf der Außenbahn wurde dann normalerweise gegen den offensiven Außenspieler gepresst, wobei die gute Organisation bei der defensiven Dreiecksbildung gegen den ballführenden Gegner durch die beiden äußeren sowie einen zentralen Spieler ins Auge fiel.

Neben diesen lobenswert ausgeführten Grundlagen im spieltaktischen wie läuferischen Bereich waren noch zwei weitere interessante Besonderheiten zu erkennen:

Erstens wechselte man gelegentlich in eine kraftraubende und effektivere Pressing-Variante, bei der man besonders stark auf die Seiten schob – der eine Stürmer deckte den breit stehenden Innenverteidiger, während sein Kollege den Ball ins defensive Mittelfeld verhinderte und damit den anderen Innenverteidiger freiließ. Bei einem Anspiel wurde dieser vom einrückenden äußeren Mittelfeldspieler attackiert, in dessen Rücken nun der ballnahe und etwas tiefere Stürmer kreuzen und im Sprint zum Außenverteidiger laufen würde, um dort zusammen mit dem abkippenden Mittelfeld-Kollegen zu pressen. Gerade auf der linken Seite konnte dieses Wechselspielchen mit den polyvalenten Bruns und Kruse sehr gut durchgeführt werden.

Zweitens wechselte man gelegentlich die grundlegende Pressing-Formation: Bruns bewegte sich diagonal zur Mitte hin, während Daube etwas auf die linke Seite schob, so dass eine Art asymmetrische Raute entstand, in der eher gegen die linke Münchener Seite gespielt wurde. Durch das Bilden zweier starker Dreiecke sollten Bierofka und Bülow eingeschlossen werden, während man gleichzeitig besser für direkte Seitenwechsel geschützt sein wollte, da Daube schnell herausrücken konnte.

3. Licht und Schatten in der Formation der Sechziger

Ein besonders auffälliges Merkmal bei den Löwen war die Rolle von Kevin Volland, der als nomineller halblinker Mittelstürmer enorm weit auf die linke Seite tendierte. Dadurch sollte er für etwas Breite sorgen, aber vor allem Paulis Rechtsverteidiger Volz okkupieren, um so dem eigentlichen Stürmer Rakic auf halblinks Freiraum zu ermöglich, welchen dieser allerdings nicht dynamisch genug nutzen konnte.

Durch seine hohe Stellung entstand hinter diesem wiederum ein großes Loch, welches durch Buck und Bierofka gemeinsam geschlossen werden sollte, was allerdings nicht wirklich gelang, da Ersterer nicht offensivstark genug agierte und Letzterer durch eine eher durchwachsene Leistung Bülows stärker als geplant in der Spieleröffnung eingebunden war, dort zudem etwas glücklos agierte.

Somit ging die Verbindung zu den Stürmern trotz stetiger Kombinationsversuche Bierofkas ein wenig verloren, welche zwar sehr fluid agierten, aber nur auf der horizontalen Ebene, denn schließlich war man besonders auf das Flügelspiel ausgerichtet. Benjamin Lauth half als zweite Spitze primär auf der rechten Seite mit, wo der sehr aktive Rukavina und der schnelle Aigner den einzigen Kontakt zwischen Offensive und Defensive herstellten, was sie allerdings sehr gut und mit viel Engagement bewerkstelligten, wobei gerade die Flanken trotz einer Vielzahl von möglichen Abnehmern (2 Mittelstürmer plus der einrückende Rakic) nicht genau genug gespielt wurden.

Durch die flügelorientierte Pärchenbildung (Lauth-Aigner bzw. Rukavina-Aigner und Rakic-Volland) ging allerdings die Zusammengehörigkeit der einzelnen Teile, konkret also der Kontakt zwischen den beiden Außenbahnen, etwas verloren, was wiederum Bierofka zu kompensieren hatte, wodurch er aber eben noch weniger für die vertikalen Zusammenhänge verantwortlich zeichnen konnte.

4. Taktische Fouls und Bruchstücke

Ein ähnliches Problem wie die Gastgeber hatten auch die Mannen vom Millerntor. Einerseits bildeten die spielstarken und gerne rochierenden Bruns und Kruse sowie Linksverteidiger Schachten ein sehr vielversprechendes – wenn auch nach der Pause verletzungsbedingt gesprengtes – Dreieck, das einige sehr schöne Spielzüge initiierte; andererseits kamen Schindler und Volz durch das Loch hinter Rakic zu etwas Raum, aus welchem sie gegen die gute Münchener Innenverteidigung allerdings nur einige schwach abgefeuerte Fernschüsse produzierten – die Quintessenz: Mehrere Spielergruppen versuchten sich, aber die Links zwischen ihnen fehlten, so dass man gruppentaktisch erreichte Ziele nicht auf die mannschaftstaktische Ebene übertragen konnte, woraus die fehlende Durchschlagskraft, wie bei den Löwen, folgte.

Schließlich darf auf keinen Fall der Einsatz taktischer Fouls unerwähnt bleiben, der insbesondere bezogen auf den Bundesliga-Absteiger integraler Bestandteil der defensiven Strategie darstellte – bahnten sich während eigener Unordnung gefährliche und vor allem schnelle (Konter-)Situationen an, wurde schnell zum Foulspiel gegriffen, wodurch unter anderem mehrere schnelle Läufe Aigners unterbunden wurden.

Fazit

In der ersten Halbzeit war 1860 etwas besser, in der zweiten Hälfte St. Pauli; die Hausherren wirkten im Spielaufbau konstruktiver, die Gäste in der Defensive kompakter und stärker; die Tore fielen aus einem unnötig verursachten Elfmeter bzw. einem kapitalen individuellen Fehler kurz vor Schluss – ein korrektes Remis eines eher schwächeren Spiels, das aber viele interessante Feinheiten bezüglich der Balance der Formationen, der Pressing-Taktiken sowie der Wechselwirkungen zwischen den Spielern bereit hielt.

mtoteaxmax 9. März 2012 um 12:56

Meiner Meinung nach ein taktisch sehr interessantes Spiel, zwar nicht in der allgemeinen Haupttakitk (4-4-2 gegen 4-2-3-1 ist fast jedes Spiel zu sehen und es gab keine großartigen Sonderfunktionen einzelner Spieler bzw Taktikkniffe) sondern in den kleinen Dingen.
Zwei so disziplinierten Zweitligisten sieht man selten, das Spiel hätte eig 0:0 ausgehen müssen, aufgrund der sehr guten Defensivarbeit:

Defensive beginnt beim ersten Angreifer: sehr gutes Pressing (außer kleine Fehler die bei zweitliga Mannschaften einfach vertretbar sind), sehr gute Dreiecksverteidigung und v.a. Stellungsspiel der Innenverteidiger (überragend v.a. von 60)
Die Tore individuelle Fehler der Elfer : das Foul einfach nur dumm, man hätte im Mittelfeld schon taktisch ziehen müssen.
Der Ausgleich: in der 87. klopft man das Ding in so einer Druckposition einfach nur weg.

Letzten Endes verdientes Unentschieden mit Chancemehrheit bei 60 aber mehr Ballbesitz und Spielbeherrschung von Pauli.

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Zirkeltraining 7. März 2012 um 20:27

Genau das ist mir auch aufgefallen. Ich war im Stadion und habe nicht alles so genau beobachten können, aber könnte das nicht eventuell eine Reaktion auf Pliquett’s Schwächen in der Strafraumbeherrschung gewesen sein?

Zum Spiel selbst noch:
1. Für mich war es ein typisches 4-4-2- gegen 4-5-1-Spiel: Pauli mit mehr Spielkontrolle im Zentrum, 60 dafür mit direkterem Spiel (zumindest wurde es versucht, Funk unterband es aber oft gut).
2. Ich fand die Defensivarbeit der beiden Münchner Sturmspitzen sehr schwach. Wenn sie überspielt waren ( was sie dem Gegner oft nicht wirklich schwer machten ) betrieben sie keinerlei Rückwärtspressing, sondern ruhten sich vorne einfach aus. Dadurch banden sie natürlich einige Defensivspieler der Gäste, aber die Unterzahl im Zentrum konnte nicht kompensiert werden. Infolgedessen konnte Pauli oft den Ball relativ ungestört vor den beiden Viererketten zirkulieren lassen.

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Henrik 7. März 2012 um 17:14

Mir ist aufgefallen, dass St.Pauli bei gegnerischen Standards sehr tief stand. So extrem hab ich das sonst noch bei keiner anderen Mannschaft gesehen.

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mtoteaxmax 9. März 2012 um 13:10

60 läuft bei Freistößen aus dem Halbfeld/im gegnerischen Drittel sehr oft ein und hat dadurch schon ein paar Treffer erzielt.
Durch das Tiefstehen hat der Paulicoach 60 diese Möglichkeit einfach aus dem Repertoir genommen, einmal hat es aber fast geklappt aber ein Münchener stand dann im Abseits, danach stadn Pauli dann konstant tief bei Freistößen.

Im Spiel haben sie diesen Kniff aber auch ein paar mal eingesetzt um sich eine Pause vom Pressing zu holen. Ein schöner Nebeneffekt war natürlich, dass die Defensivreiehe von den Hamburgern in diesem Spiel kopfballstärker war als die Offensivreihe der Münchener und die Paulianer dadruch gefühlte 9 von 10 lang geschlagenen Bällen schon im Kopfballduell abwehren konnten.

Insgesamt faires Unentschieden:
2 individuelle Fehler wobei (in der 87. schlag ich den Ball einfach weg!!! und bei einem Konter ein taktisches Foul ziehen kann einfach jeder und dann im 16er dieses defensive Verhalten war einfach schlecht, er hätte aber auch von einem Mitspieler unterstützt werden müssen)

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