Eine Weihnachtsgeschichte: Spencer, Ali und der Kaiser

Verschlagenheit, Dreistigkeit, Hinterlist, Tücke. Für viele Argentinier waren dies Diego Maradonas größte Stärken auf dem Platz, er war ein echtes Schlitzohr. Außerhalb des Platzes weiß man, insbesondere in Deutschland, solche Dinge nicht zu schätzen: Steuerhinterziehungen in Kaiserslautern, Untreue beim Bau der Allianz-Arena, Skandalschiedsrichter, Spielmanipulationen, Wettmafia oder gar die Kirch-Affäre. Sie alle werden manchmal geduldet, als Übel, welchem man sich nicht entledigen kann, aber im Normalfall zurecht verfolgt und aufs Schärfste verurteilt. Auf dem Platz sind es lediglich die extrem brutalen Fußballer und die Schwalbenkönige, die rigorose Bestrafungen genießen. Zahlreiche Tätlichkeiten, Handspiele und ähnliches werden oftmals zu Heldentaten hochstilisiert.

Ob einzelne Aktionen wie Suarez‘ Handspiel bei der Weltmeisterschaft 2010 oder eine spielerische Eigenart wie Gattusos versteckte Fouls, nicht selten sind es diese kleinen unfairen Aktionen, die unser Herz im Sturm erobern. Der Fußball fördert in uns auch die dunklen Seiten zutage, welche man aber keineswegs verstecken muss. Solche Aktionen sind nicht in einem schwarz-weißen Licht zu sehen, es hängt ein grauer (oder meinetwegen auch bunter) Schleier darüber. Man sympathisiert mit den jeweiligen Übeltätern, da sie Leidenschaft und puren Siegeswillen zeigen, sich trotz möglicher Konsequenzen für ihre Mannschaft opfern und wie einst Roy Keane den Ruf als Buhmann willentlich in Kauf nehmen.

manche der Betrüger brachten es schließlich doch zu etwas ...

Noch lesenswerter sind allerdings die verrückten Anekdoten und Geschichten, in denen einzelne Personen die ganze Fußballwelt zum Narren gehalten haben. Diese Dreistigkeit und ihre Zielstrebigkeit erhaschen heimlich unsere Bewunderung und insgeheim staunen wir über ihren Einfallsreichtum und ihre Frechheit. Besonders liebevoll werden solche „Übeltäter“ von der Fußballwelt gesehen, wenn sie sich einfach ihren Traum erfüllen wollten: einen Platz im Fußballpantheon ohne die notwendigen Fähigkeiten dazu zu besitzen. Spielverlagerung präsentiert drei kurze Geschichten von unterschiedlichen Fußballverbrechern aus ganz verschiedenen Kulturkreisen, die sich alle lediglich ihren Traum vom Profibetrieb erfüllen wollten.

Die afrikanische Version

Ali Dia, 1965 in Dakar geboren, lebte seit geraumer Zeit in Frankreich und obwohl er kein wirklich guter Spieler war, wollte er immer Fußballprofi werden, vorzugsweise natürlich in England. Zusammen mit ihm studiert ein Freund, der manchmal auch als sein Berater fungierte. Die beiden hatten nun eine Idee, wie sich Alis Traum erfüllen würde. Es war 1996, als Ali Dia genug von seinen gescheiterten Probetrainings und Exkursen in den Niederungen des französischen und deutschen Fußballs hatte – aktuell war er in England bei dem Amateurverein Blyth Spartans aktiv. Nachdem sie die Telefonnummer von Sunderlands Manager Graeme Souness ausfindig gemacht hatten, rief sein „Cousin George Weah“ an. Richtig gelesen, sein Studienfreund gab sich als der große Star aus den 90ern aus und schwärmte Souness in höchsten Tönen von seinem Cousin Ali Dia vor, welcher angeblich kurz vor einer Unterschrift bei Paris Saint-Germain stand. Da darf man nicht zögern, dachte sich der ehemalige Weltklassemittelfeldspieler des FC Liverpool und gab ihm einen Probevertrag. Man hatte ohnehin vor dem nächsten Spiel gegen Leeds United einige Verletzungssorgen, aber ganz unvorbereitet wollte man Ali Dia, der im Training keinesfalls überzeugen konnte, nicht in den Kader aufnehmen – auch deswegen, weil Ali Dia nach dem zweiten Training für ein paar Tage pausierte. Es war ein Spiel mit der zweiten Mannschaft geplant, um ihn an den englischen Fußball zu gewöhnen, welches jedoch aufgrund starken Regens abgesagt wurde. Nichtsdestotrotz wurde „bambi on ice“, wie es Le Tissier so schön formulierte, in den Kader berufen. Als sich Sunderlands Star Le Tissier verletzte, wurde Ali Dia überraschend für alle in der 32. Minute eingewechselt. Einige wenige Ballkontakte und gar einen kläglichen Torversuch durfte er sich in seinen Lebenslauf schreiben, bevor er schließlich nach 21 armseligen Minuten ausgewechselt wurde. Dies hinderte ihn allerdings nicht daran, sich am Montag seine Verletzungen pflegen zu lassen, bevor er am Dienstag schließlich gar nicht mehr auftauchte. Sein Vertrag endete nach dieser zweiten Woche, Ali Dia wurde in Southampton nicht mehr gesehen. Er spielte noch acht Spiele für Gateshead im Amateurbereich, bevor er sein Wirtschaftsstudium 2001 in Newcastle beendete.



Bis heute ist seine Geschichte eine der populärsten in der Fußballwelt und erinnert ungemein an die Geschichte von Masal Bugduv, dem angeblichen Wunderkind aus Osteuropa. Jener wurde gar auf verschiedensten Internetseiten beworben und laut Wikipedia gab es Interesse von Arsenal, was dazu führte, dass das Internetportal goal.com ihn in einer Liste der größten Talente Europas vor Mesut Özil platzierte.

Schade nur, dass es den Spieler nie gab. Irische Hacker hatten die gälische Geschichte von M’asal Beag Dugh, einem Verkäufer, der einen faulen Esel verkaufte, lediglich in der virtuellen Welt wahr werden lassen wollen. Ali Dia war wohl der faule Esel, der es schaffte, sich selbst zu verkaufen.

Die südamerikanische Version

Was macht man aber, wenn man als einer der wenigen Brasilianer geboren wird, die nicht mit übermäßig viel Fußballtalent gesegnet wurden? Vielleicht in England anrufen und einen Freund behaupten lassen, er wäre Rivaldo. Aber wenn man keinen Studienkollegen hat? Dann muss man wohl einen auf Carlos Henrique Kaiser machen. Vermutlich 1963 geboren, hatte Carlos Henrique einen Traum: er wollte wie so viele seiner Bekannten ein Weltstar werden. Seinen Lebenslauf sollten später Abstecher nach Frankreich und Mexiko sowie der Creme de la Creme der brasilianischen Vereine zieren. Auf den Wänden seiner Zimmer fand man die Farben von Flamengo, Botafogo, Vasco da Gama, Fluminense, Amerika, Bangu und schließlich Palmeiras.

Wie soll das ein talentloser Spieler geschafft haben? Mit viel Arbeit? Das entspräche nicht dem Lebemann Carlos Henrique, der sich selbst den Künstlernamen Kaiser gab. Statt seiner Beine ließ er seinen Charme spielen und hatte als Jugendlicher bei Partys einige große Spieler kennengelernt, unter anderem die damaligen Stars Brasiliens Carlos Alberto, Ricardo Rocha und Renato Gaucho, dem er verblüffend ähnlich sah. Zwanzig Jahre lang währte seine eindrucksvolle Karriere, Pflichtspiele bestritt er nur in Frankreich, in Brasilien konnte er sich dessen verwehren. Ein Tor erzielte er in diesen 30 Spielen allerdings dennoch nicht.

Wie er überhaupt zu Verträgen kam, mag in der heutigen Zeit unglaublich sein, doch damals war es ein einfaches Vorgehen. Ohne Internet, ohne Scouts oder ordentliche Registrierungen beim ohnehin korrupten Verband und ohne seriöse Zeitungen war es schlichtweg unmöglich, konkrete Informationen über Spieler einzuholen. Diesem Problem bediente sich der Kaiser. Er nutzte seine Verbindungen zu den bekannten Fußballern seines Landes, um einen Probevertrag zu erhalten. Während den ersten Trainings verletzte er sich – da es damals keine Mittel für Kernspintomographien oder ähnliches gab, konnte man nicht umhin, ihm zu glauben.

Um den angeblich hochtalentierten Stürmer zu halten, verlängerte man seinen Vertrag. Zumeist konnte er dann zwei bis drei Monatsgehälter absahnen, bevor der Verein ungeduldig wurde, welches spätestens nach Wochen von lockerem Lauftraining ohne Ball der Fall war. Während seiner Karriere sollte sich ein aufwändiger Lebensstil mit vielen Festen und noch mehr Freunden im brasilianischen Fußball entwickeln. Neben viel Vitamin B und so manchen Freunden bei Zeitungen war ein Glücksfall aus der Vergangenheit eine große Hilfe. Als 16jähriger wechselte er aus der Jugendakademie Botafogos zu Flamengo, von wo aus er nach Puebla, Mexiko ging. Diese Auslandserfahrung verschleierte sein mangelndes Talent, die Zeit zwischen Jugend und Erwachsenem, wo er sich keinen Jota verbesserte, verging im Ausland und er kehrte als junger, aber doch (angeblich) erfahrener Fußballer zurück in das Land des jogo bonito.

Zurück im Lande wechselte er zumeist sogar mit seinen Freunden – wenn sie die Mannschaft wechselten, war er die Beilage. Seine Transferrechte hatte er glücklicherweise nie an dubiose Berater abgetreten und dank der kurzen Probeverträge konnte er die Vereine kurz nach seiner Ankunft wieder für ein ähnlich gutes Angebot verlassen. Um seinen Wert durch Gerüchte beim künftigen Verein zu verbessern oder gar ein paar weitere Probemonate bei der bisherigen Mannschaft zu erhalten, bezahlte er gefälschte Artikel in Zeitungen oder tat so, als würde er mit – damals hochmodernen – Handys in Kastengröße nach Europa telefonieren. Er konnte zwar kein Englisch, aber sein Gebrabbel wurde selten als das entlarvt, was es war: eine Lüge. Die Legende will es so, dass er, um eine Einwechslung zu vermeiden, einen Kampf mit den Fans anzettelte. Sein Vertrag wurde dann sogar verlängert, als er stolz dem Präsidenten beim Rapport erzählte, er habe nur dessen Ehre verteidigt. In Frankreich, wo man sich den modernen Trainingsmethoden mit Ball öffnete, schoss er aus Furcht vor den Passübungen sämtliche Bälle in die Zuschauerränge, wo ein paar Fans neugierig den neuen Star aus Brasilien begutachten wollten. Das Training war dann zwar recht öde, die Fans feierten den gutmütigen Weltstar allerdings frenetisch für seine milden Gaben.

Romario und Edmundo, zwei seiner späteren Freunde, sollen ihn gar den Forrest Gump des brasilianischen Fußballs genannt haben. Doch er arbeitete durchaus hart – während seiner Zeiten bei den unterschiedlichsten Vereinen waren die zahlreichen Feiern kein Selbstzweck, er nutzte sie, um immer mehr und bekanntere Freundschaften zu knüpfen. Sein Lebenslauf erweiterte sich ebenso stark übertrieben, so soll er unter anderem behauptet haben,  1984 mit Independiente den Weltpokal gewonnen zu haben. Seine Mitspieler wussten übrigens durchgehend, dass er nur simulierte, aber er war ihnen so sympathisch und seine Geschichte so atemberaubend, dass sie sein Verhalten nur noch weiter unterstützten.

Renato Gaucho trieb es sogar so weit, dass er es dem Kaiser erlaubte, sich als er selbst auszugeben, um bei Frauen besser anzukommen. Die populärsten seiner Fußballkollegen schenkten ihm Trikots mit Autogramm, welche er dann an einflussreiche Medienvertreter weitergab – in Bangu titelte sogar eine Zeitung sinngemäß: „Bangus König ist ein Kaiser“.

Ein Freund von ihm soll ähnlich wie Carlos selbst ebenso ein Betrüger gewesen sein, mit einem gefälschten Zahnarztzertifikat halfen sie sich gegenseitig. Der eine schrieb Atteste, der andere nahm ihn zu feuchtfröhlichen Abenden mit Prominenten mit. Zahlreiche simulierte Verletzungen sind wohl noch prägender in seinem Lebenslauf, als die großen Vereine, die er hinters Licht geführt hatte. Mit 39 Jahren beendete er seine Karriere auf französischem Boden und lebt heute in Rio de Janeiro. Im Nachhinein bereut er, dass er nicht mit viel Training und dem bisschen Talent, was er hatte, eine größere Karriere gemacht hat. Es wäre nur zu schade gewesen, der Fußball wäre um eine unglaubliche Geschichte ärmer.

Die europäische Version

58 Jahre harter Arbeit schienen umsonst. Die Football League würde wohl ein ununterbrochenes Mitglied verlieren, den FC Aldershot. In der vierten Liga, der letzten Profiliga Englands, war man Konkurs gegangen und nun musste man wohl zwangsabsteigen. Im letzten Moment schaltete sich dann doch noch ein Retter ein: Spencer Trethewy, 1971 geboren und damals, 1990, ganze 19 Jahre alt, trat mit einem Scheck von 200‘000 Pfund dem Vorstand vom FC Aldershot entgegen. Eine eidesstaatliche Erklärung von ihm sollte den Scheck decken und die verzweifelten Funktionäre nahmen an.

Wenig später sollte er sich allerdings in einer Talkshow verscherzen und Untersuchungen des Finanzamtes sowie von Vereinsseite aus brachten ans Licht, dass er das Geld nicht besaß. Er wurde als Besitzer des Vereins abgesetzt und der Verein ging schließlich 1994 unter (man hatte sich bereits am 25. März 1992 aus dem laufenden Spielbetrieb genommen), als Aldershot Town mussten sie in der letzten Spielklasse von Neuem beginnen. Spencer Trethewy erhielt eine Gefängnisstrafe für mehr als zwei Jahre, nachdem er sich auch bei Hotelbetrügereien erwischen ließ. Der Schaden belief sich auf fast 20 000 Pfund, die er nie zurückzahlte, aber gute Anwälte (mit gedeckten Schecks) sollten dennoch dafür sorgen, dass das Strafmaß nach zahlreichen Berufungen auf elf Monate reduziert wurde. Bis heute verachtet nahezu jeder Funktionär beim neugegründeten Stadtverein Aldershots den ehemaligen Retter, der auch gegen die Zwangsräumung seiner Wohnung durch die Exekutive rebellierte.

Spencer Trethewy dürfte das heute kaum noch tangieren. Nach seiner abgesessenen Haft wurde er zum Tycoon und Multimillionär. Weiterhin gibt es Gerüchte um dubiose Geschäfte, angeblich gab er sich unter anderem als Whitney Houstons Agent aus, aber seine legalen Geschäftsideen waren deutlich erfolgreicher. Mehrere Jets gehörten nun ihm und er installierte einen Direktflug von London nach Barbados, 1998 änderte er schließlich seinen Namen zu Spencer Day, um sich der Schatten seiner Vergangenheit zu entledigen. Er gründete weiters eine Firma, die sich mit Investitionsmanagement beschäftigte und ihm gehören einige Immobilien. Privat baut er aktuell eines der größten Häuser in Surrey und ihm gehört desweiteren eine Villa im Wert von über 12 Millionen Pfund, dazu passenderweise zwei riesige Yachten neben einem privaten Hubschrauber.

Im Jahr 2007 kam es zu etwas, was noch merkwürdiger war als sein finanzieller Erfolg. Spencer Day kehrte als Besitzer und Teammanager á la Magath in den Non-League-Fußball zurück, wo er seinen Reichtum nutzte, um den Platz auf neuestem Stand zu bringen. Im sechsten Spiel nach seiner Übernahme entließ er den bisherigen Trainer und nahm auf der Bank Platz. Besonders dankbar war ihm der Verein auch für ein neues Trikotset – für alle 17 Mannschaften, welche der Verein besitzt. Vor zwei Monaten wechselte er dann gemeinsam mit seinem Assistenztrainer Koo Dumbuya nach Farnborough, allerdings nicht als Besitzer. Seine Trainerfähigkeiten scheinen ganz ansehnlich, ebenfalls besitzt er wohl das nötige Geld, um sich seinen Wunschspieler im Notfall selbst finanzieren zu können. Nicht schlecht. Ob er wohl mit seinem Ferrari oder mit seinem Range Rover zu den Verhandlungen fährt? Aktuell schafft er es mit dem Aufsteiger zumindest auf den 17. von 22 Plätzen in der sechsten englischen Liga.

nifan 3. Dezember 2013 um 02:26

wenn mal nicht schlafen kann, liest man halt alte spielverlagerung-Artikel… Bei dem hats sich auf jeden Fall gelohnt 😉 Hätte nichts dagegen, wenn ihr öfter mal so alte aber noch aktuelle Artikel wieder nach vorne holt, oder mal bei Facebook posten. Gibt bestimmt noch weitere interessierte Leser…

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benditlikebender 26. Dezember 2011 um 19:58

Phantastisch recherchiert. Danke!

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