VfL Bochum – Bayern München 1:2

Zum Ausklang eines ereignisreichen Jahres 2011 trat der FC Bayern zum Pokalspiel beim Zweitligisten VfL Bochum an. Die befreundeten Fanlager freuten sich auf ein schönes Spiel, wobei die Bochumer die Überraschung herbeisehnten, während bei den Bayern nur die Frage drängte, welche Aufstellung gegen den unterklassigen Gegner gewählt werden würde.

Grundformationen

Trainer Jupp Heynckes entschied sich für das Duo aus Luiz Gustavo und Anatoliy Tymoschchuk, was nicht gänzlich von vornherein verurteilbar, aber am Ende eine falsche Entscheidung war. Trotz der Tatsache, dass er in das System der Münchener sehr gut hineinpasst und einige gute Pässe auf Lahm spielte, hat der aus Hoffenheim gekommene Brasilianer doch große Probleme im Aufbauspiel, wenn er es anführen und –leiten soll, während der Ukrainer Tymoschchuk neben ihm nicht zum ersten Mal seine technischen Mängel in der Ballverarbeitung und seine fehlende Kreativität durchscheinen ließ. Diese ging den Bayern von hinten heraus somit komplett ab, was gegen die defensivstarken Bochumern seinen Beitrag dazu leistete, dass der Zweitligist vor allem in der ersten Halbzeit wenig zuließ, führte und was die Verlängerung erreicht hätte. Doch es gab noch weitere Maßnahmen, wie der VfL die Bayern fast gestoppt hätte – in 3 Schritten.

Schritt 1: Verteidigen im beweglichen 4-1-4-1

Nominell setzte Bochums Trainer Andreas Bergmann auf ein 4-3-1-2, welches aber in der Defensive schnell zu einem flexiblen 4-1-4-1 wurde. Während Chong Tese als zentraler Stürmer vorne blieb, rückte Aydin mit nach hinten und half Inui im Mittelfeld aus. Dafür stand der junge Kramer tiefer und nahm über weite Teile Toni Kroos fast schon in Manndeckung.

Zwei Bochumer Defensivformationen im Vergleich (Bild 1 und 2) und die Vor- und Nachteile des 4-1-2-3 (Bild 2) gegenüber dem 4-1-4-1 (Bild 3): Sicherer gegen Vertikalpässe zwischen die Linien, dafür weniger Druck auf die gegnerischen zentralen Mittelfeldspieler sowie das Fehlen einer „Schutzmauer“

Anders als Ligakonkurrent Braunschweig in der ersten Runde machten die Hausherren allerdings nicht den Fehler, sich durch Vertikalpässe der Bayern – bspw. von Badstuber, wobei natürlich Schweinsteiger diesmal keinen Schaden anrichten konnte – zwischen die eigenen Reihen aufhebeln zu lassen. Stattdessen staffelte man sich besser – entweder in einem 4-1-2-3, in welchem die Winkel zwischen den äußeren Spielern und jenen auf der Halbpositionen besser waren, oder sogar in einer Art gespiegelten Variante, in der die zentralen Spieler zu einem Gebilde ähnlich einem nach vorn gewölbten Bogen vorschoben. Diese Variante war die risikoreichere, doch konnten die Außenstürmer hier tiefer stehen und es gelang mit dieser Defensivformation gut, die Bayern im Spielaufbau nach hinten zu lenken, so dass diese den Ball in den hintersten Reihen zirkulieren lassen mussten.

In jedem Fall bewegten sich die drei Mittelfeldspieler im Zentrum ziemlich flexibel und konnten sich so gut an die Begebenheiten der jeweiligen Situationen anpassen.

Schritt 2: Flexibles Mittelfeld

Je länger die erste Halbzeit dauerte, desto öfter sah man allerdings, wie das System der Hausherren in der defensiven Phase mehr wie ein 4-4-2/4-4-1-1 mit Aydin als zweiter Spitze aussah, indem dieser bei Seitenverlagerungen herausrückte und in die vorderste Reihe der Formation wechselte, um schneller mehr Druck ausüben zu können.

Der ballnähere der beiden verbliebenen zentralen Mittelfeldspieler würde versetzt dahinter absichern, während sich sein Kollege in diagonaler Richtung zum Ball ebenfalls etwas weiter nach vorne schieben und fast wieder ein 4-1-4-1 kreieren würde. So kam es, dass auch Inui öfter Kroos deckte. Manchmal passte man sich sogar gänzlich dem Gegner an, indem jeweils der zentrale Mittelfeldspieler ohne Gegenspieler sich zum Attackieren leicht vorbewegte, während ein anderer für ihn absicherte.

Schritt 3: Verschiebetechniken

Ein weiterer interessanter Punkt im Spiel der Bochumer war, wie sie einige Male das Verschiebemuster einiger Spieler liberalisierten. War der Ball beispielsweise auf der linken Seite der Bayern im zweiten Drittel nahe der Mittellinie bei Lahm, so stellte man den Kapitän der Bayern sowie dessen Partner Ribéry mit den beiden Außenspielern, dem ballnahen zentralen Mittelfeldspieler und je nach Formation dem defensiven oder dem offensiven Mittelfeldspieler zu, während die anderen beiden Mittelfeldakteure tiefer standen und nicht mit verschoben, sondern praktisch in der Grundformation etwa auf einer Linie stehen blieben, was Seitenwechsel erschwerte und für eine versetzte Absicherung im Rücken der Kollegen sorgte, die sowohl einen Durchbruch der Bayern auf links als auch auf rechts im Auge hatte.

Wie schon so oft machten die Münchener das Spiel nicht entschieden genug breit, was den Bochumern natürlich in die Hände spielte und besonders in der ersten Halbzeit den Nährboden für ihr – je nach Situation – effektives Mittelfeld- oder Abwehrpressing darstellte.

Die Unterschiedlichkeit der Bayern-Seiten

Obwohl die Bochumer über weite Strecken mannschaftlich gut verteidigten und den Bayern spürbar die Kreativität und die Mittel fehlten, kamen die Gäste aus der Landeshauptstadt dennoch zu einigen Tormöglichkeiten, was insbesondere an der linken Seite lag. Trotz einer Deckung von zwei oder gar drei Gegenspielern konnte sich Ribéry selbst gegen diese zahlenmäßige Übermacht häufig sehr gut durchsetzen. Nach seinem unnötigen Platzverweis gegen Köln schien der Franzose richtig unter Dampf zu stehen und zeigte eine famose individuelle Leistung.

Durch den Wirbel des Ausnahmekönners konnten die Bochumer noch weniger Augenmerk auf Philipp Lahm lenken, der dadurch auch zu vermehrten Freiheiten kam und einige durchaus nicht ungefährliche Szenen hatte, doch es fehlte wie an Effektivität und bei den Kollegen an der letzten Durchschlagskraft zum Verwerten der Leistungen der linken Seite. In dieser Hinsicht war die Aufstellung Olics aufgrund der vielen Flanken – 13 brachten Lahm und Ribéry in die Mitte – etwas fragwürdig.

Auf der anderen Seite waren die Bayern viel weniger gefährlich, was sich aber schon durch die komplette Saison zieht. So war Kroos auch diesmal mehr auf der linken Seite unterwegs, während der naturgemäß noch nicht komplett wieder spielfitte und integrierte Robben von Boateng und Tymoschchuk nicht die beste Unterstützung erwarten konnte und so doch recht abgeschnitten vom Geschehen war. Gelegentlich bewegte er sich ähnlich wie Müller auf jener Position mit ins Sturmzentrum, wo er aber trotz einer guten Kopfballchance auch keine bessere Bindung fand.

Entwicklungen im zweiten Durchgang

Nach der Pause korrigierte Jupp Heynckes seine Aufstellung und brachte Alaba ins zentrale Mittelfeld, welcher gleich für mehr Druck und Spielstärke nach vorne sorgte. Überhaupt war die Phase direkt nach Wiederbeginn die beste der Bayern, in welche auch das schön herausgespielte Ausgleichstor durch Kroos (52.) fiel, das einige der Gründe für das Erstarken der Bayern aufzeigte.

Zum einen erzeugte auch die zweite Auswechslung – Gomez für Olic – einiges an Effekt. Der Nationalspieler war nicht nur individuell stärker als der außer Form agierende Kroate, sondern fügte sich auch passender in das Mannschaftsgefüge ein. Einmal mehr demonstrierte der gelegentlich immer noch als nicht spielstark und mannschaftsdienlich verschriene Gomez seine enorme Klasse und Wichtigkeit als Wandspieler, der eine Anspieloption gibt, den Ball halten kann, sich in Kombinationen einbinden und Räume aufstoßen kann – all dies machte er beim Tor in perfekter Manier. Weit zurück ist er gegenüber Klose in diesem Bereich nicht mehr.

Zum anderen mussten die Bochumer ebenfalls wechseln und dabei Toski verletzungsbedingt ersetzen. Nun spielte der ehemalige Nationalspieler Paul Freier als rechter Verteidiger gegen den so starken Ribéry. Dies war eine riskante wie interessante Maßnahme Bergmanns, aber keine abwegige. Zwar hatte Freier zu Beginn große Probleme, ins Spiel zu kommen, doch am Ende gelang es ihm immer besser. Die Gründe für beide Aspekte sind sehr interessant:

Im Gegensatz zu Kopplin verteidigte Freier höher gegen Ribéry und rückte sehr weit mit ihm heraus. Auf der einen Seite bedeutete dies ein Risiko, da er möglicherweise schnell überspielt werden könnte oder hinter sich Räume lassen würde, was beim Tor der Fall war. Hier konnte nicht nur Kroos den Platz nutzen, sondern es war vor allem in der Wiederholung zu erkennen, dass auch Ribéry in diesem Raum antäuschte, dann aber Freier wegzog. In mehreren Szenen hatte auch Lahm hier viel Raum oder Ribéry erlief einen dieser langen Pässe im Sprintduell.

Später allerdings stimmte das Timing und die Abstimmung mit den Kollegen besser, so dass Freier oft mit auf der Seite herausrückte, hinter ihm eine Dreierkette verblieb und man mit vier Spielern auf der linken Seite den Raum so eng machte, dass die Bayern nicht mehr so häufig durch kamen und Ribéry sogar wieder mehr auf die andere Seite zu wandern begann.

Weiterhin muss zur zweiten Halbzeit erwähnt werden, dass das Spiel sich generell mehr öffnete und die Bochumer dadurch häufiger die Kompaktheit nicht halten konnte. Gerade wenn die zentralen Mittelfeldspieler vorschoben, entstanden riesige Räume zwischen den Linien, in denen die Bayern in Person von Ribéry, Robben, Kroos oder am Ende Rafinha manchmal sogar zu zweit auf die Abwehr zuliefen. Besonders nach den eigenen, zu inkonsequenten Kontern ließ der VfL sich mehrmals selbst auskontern, konnte diese schwachen mannschaftstaktischen Abläufe allerdings durch den enormen individuellen Einsatz im kämpferischen Bereich kompensieren – Laufbereitschaft, das Gewinnen freier Bälle und Tacklings sowie abgefangene Pässe im letzten Moment waren beeindruckend.

Die Risikobereitschaft in Verbindung mit der fehlenden Präzision und Ruhe bei den eigenen Kontern waren aber der Genickbruch für die Bochumer, denn in der Nachspielzeit konnten einzelne Spieler diese Dinge nicht mehr gerade biegen, als Robben den Siegtreffer für den Bundesliga-Herbstmeister markierte und eine überraschende Verlängerung sowie eine mögliche Sensation abwendete.

Tobias 22. Dezember 2011 um 10:26

Schöner Bericht. Ein wichtiger Aspekt wird jedoch kaum erwähnt: Während Gustavo und Tymoschchuk in der ersten Halbzeit rein horizontal agiert haben, war mit der Einwechslung von Alaba plötzlich auch eine sehr starke vertikale Komponente vorhanden. Kroos und Alaba haben häufig die Positionen zwischen 6, 8 und 10 getauscht, so dass es häufig auch Anspielstation zwischen der vorderen Kette der Bochumer gab. So wurden Sie durch die Mitte deutlich gefährlicher, was zu der extremen Druckphase zu beginn der 2. Halbzeit geführt hat. Erst mit der Reinnahme von Ginczek wurde Alaba stärker defensiv gebunden und die Bochumer konnten sich etwas befreien.

P.S. Das Standardsystem der Bochumer in der 2. Liga ist eher ein 4-1-3-2 als ein 4-3-1-2. Federico, Inui und Dabrowski agieren auf einer Linie während Kramer deutlich dahinter arbeitet.

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TR 22. Dezember 2011 um 17:03

Ja, du hast Recht, in der Analyse wurde das nicht so ganz hervorgehoben mit dem vertikalen Element.
Auch der zweite Punkt stimmt, wobei man in diesem Spiel ein 4-3-1-2 wohl erwarten konnte.

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