FC Santos – FC Barcelona 0:4

Es war das Finale des (eigentlich) größten Pokalwettbewerbs für alle Vereinsmannschaften weltweit. Der FC Barcelona trat gegen den FC Santos an, beide Teams hatten mit Lionel Messi beziehungsweise Neymar zwei Spieler in ihren Reihen, welchen medial ein internes Duell angedichtet wurde. Doch dieses Spiel zeigte einmal mehr, dass selbst einzelne herausragende Individuen von der Taktik der Mannschaft und der Stärke ihrer Mitspieler abhängig sind. In einem guten Spiel zeigten die Spieler des katalonischen Aushängeschilds eine hervorragende Leistung und ließen den Brasilianern nur sehr wenige Chancen. Sogar ohne den verletzten David Villa, welchem wir hiermit allerbeste Genesung wünschen, konnte man mit einer tollen Offensivleistung die Weltmeisterschaft der Vereinsmannschaften für sich entscheiden.

Wechselwirkung der jeweiligen Formationen

Grundformationen zu Beginn des Spiels

Es war ein merkwürdiges System, mit welchem Santos begann. In der Abwehr war es wohl nominell eine Fünferkette, die geplant wurde, doch aufgrund der unterschiedlichen Typen, sowohl in der eigenen als auch in der gegnerischen Mannschaft, wurde dieser Plan in seiner Umsetzung stark verzerrt. Danilo auf der rechten Außenbahn agierte relativ hoch, auf einer Linie mit der Doppelsechs, welche aus Henrique und Arouca bestand. Links rückte Leo ins Team, ein sehr ausdauernder und agiler linker Außenverteidiger, der oftmals als Wing-Back auftritt. Mit drei Innenverteidigern dazwischen deutet auch dies (neben der oftmaligen versuchten Umsetzung im Spiel selbst) auf eine Dreierkette hin, doch Leo wurde von Dani Alves, Lionel Messi und Cesc Fabregas stark nach hinten gedrückt. Durval, Dracena und Rodrigo agierten deshalb in der zentralen Dreierreihe etwas nach rechts versetzt und sorgten für eine asymmetrische Grundausrichtung in der Abwehr, welches auf der verschobenen Formation Barcelonas beruhte. Vor diesen sieben Feldspielern agierte Santos‘ Sturmreihe, welche aus Ganso als relativ zentralem Spielmacher, Neymar in einer halblinken Freirolle und Borges als vorderstem Stürmer bestand. Immer wieder würde aber Neymar seine Position verlassen, sich ins Zentrum begeben oder sich an der eigenen Defensivarbeit beteiligen, während Ganso derweilen stark vermissen ließ. Er schien auf Ballgewinne zu spekulieren und wartete hinter Barcelonas Mittelfeldreihe auf Pässe nach Umschaltmomenten, was aber kaum gelang. Zu sehr war er vom Spiel abgeschnitten, zu selten waren Santos‘ Balleroberungen. Borges vorne beackerte das Sturmzentrum somit ziemlich alleine und machte diese Aufgabe nicht schlecht, zog ein paar Fouls und konnte dennoch alleine nichts bezwecken. Mit Danilo rechts sehr tief postiert, Leo links noch tiefer und einem Loch zwischen letzterem und Neymar gab es fast nur weite Bälle oder Unterzahlsituationen, in welche Santos sich begeben konnte.

Der FC Barcelona hingegen trat mit einer eindeutig erkennbaren Dreierkette an. Wie im Spiel gegen Real Madrid agierte Puyol als rechter Innenverteidiger, sein Gegenüber war Abidal, während zwischen den beiden Pique auflief. Interessant hierbei war aber, dass Busquets sich nicht wie im Clasico immer wieder in die Innenverteidigung fallen ließ, sondern seine Rolle als klassischer Sechser moderner Prägung beibehielt.

Er übernahm den Raum zwischen den Linien, beteiligte sich am Kombinationsspiel und rückte gar mit nach vorne auf, wobei dies eher Seltenheitscharakter besaß. Ebenso selten rückten auch Abidal und Puyol auf, insbesondere Letzterer war im Spitzenspiel deutlich agiler in der Offensivbewegung gewesen, was aber an der fehlenden Absicherung seitens Busquets lag. Vor diesen vier hauptsächlich defensiv orientierten Spielern trat eine Mittelfeldkette an, die seinesgleichen sucht. Mit Dani Alves und Thiago Alcantara auf den Flügeln hatte man sehr flexible und spielstarke Außenbahnspieler, die sich oft ins Mittelfeld fallen ließen und besonders der junge Spanier übte sich in Rochaden mit seinen Kollegen im Zentrum. Cesc Fabregas, welcher halbrechts auflief, Xavi im Zentrum und Iniesta halblinks waren zwischen Busquets und dem alleinigen Stürmer Messi für die Spielgestaltung verantwortlich. Mit Thiago, Messi, Xavi, Iniesta und Fabregas hatte man somit fünf herausragende Spielgestalter, zu denen sich mit Busquets und Pique weitere Weltklasse-Passspieler hinzu gesellten. Man beherrschte den Ball und somit den Gegner, der bei seinen halbem Pressing im Mittelfeld ins Leere lief. Messi, der Inbegriff der falschen Neun, sorgte dazu noch für die notwendige Torgefahr, in dem er entweder selbst zum Abschluss kam oder mit seinen Pässen und Läufen ohne Ball Chancen für seine Mitspieler einleitete. Besonders Fabregas stieß oft in die Spitze hinein.

Santos in einer Vierer- oder Dreierkette?

Bei den Gegentoren sah es einige Male so aus, als agiere Santos mit einer Viererkette beziehungsweise mit einer Fünferkette, in die sich einer der Sechser hatte fallen gelassen. Die Ursache dafür war aber, dass Thiago sich oftmals ins Zentrum ziehen ließ, Danilo auf der rechten Außenbahn also keinen direkten Gegenspieler hatte und sich dann nicht auf seine Defensivaufgaben in der Raumdeckung konzentrierte.

Er spekulierte auf einen Ballgewinn, postierte sich hoch und überließ Thiago den beiden Sechsern im Zentrum, welche mit vier direkten Gegenspielern absolut überfordert waren. Barcelona hatte vor dem Strafraum Santos‘ kaum Probleme sich von einer Seite zur anderen zu kombinieren und wenn Thiago über links kam, dann war die Dreierkette der Brasilianer zwar ersichtlich, jedoch ineffektiv. Der junge Spanier düpierte seinen Gegenspieler einige Male und ließ sich in seinen gefährlichen Offensivaktionen kaum behindern. Auf der anderen Seite war mit Leo ein gänzlich anderes Spiel zu sehen. Der etatmäßige Flügelverteidiger spielte fast auf Höhe der drei Innenverteidiger, was aufgrund Dani Alves‘ konstanter offensiver Position entstand. Brasiliens Nationalspieler machte das Spiel breit und zog mit seinen Diagonalläufen Richtung Strafraum, deshalb konnte Leo nicht aufrücken und musste so tief agieren. Dies hatte zur Folge, dass die Innenverteidiger etwas nach rechts schoben und mit dem aufgerückten Danilo sah es beinahe so aus, als ob Santos eine stark asymmetrische 4-3-2-1/4-4-1-1-Hybridformation spielte, was aber keinesfalls der Fall war. Ein klassischer Fall von extremer Dominanz des Gegners, welche sich ebenso extrem auf die eigene Taktik ausübte.

Barcelonas Mittelfeldrochaden und der freie Raum, wo gar keiner ist

Rochaden über Rochaden - Flexibilität ist das Motto dieser Mannschaft

In der nebenstehenden Grafik kann man erkennen, was – einmal mehr – die Hauptursache für den Sieg Barcelonas war. Die zentralen Mittelfeldspieler sowie Thiago und Messi rochierten unaufhörlich, dadurch stifteten sie Verwirrung beim gegnerischen Abwehrverbund. Instinktiv rückten die beiden Sechser nach hinten, weil sie kompakt vor dem Sechzehner und der eigenen Abwehrkette agieren wollten.  Natürlich versuchte man Messi den Raum zwischen den Linien abzuschnüren, indem man ihn ganz einfach extrem verdichten wollte, doch Messi lässt sich in diesem Fall auf Höhe der Sechser fallen und wartet dann auf Schnittstellen zwischen den beiden bzw. in der kompakten Defensivformation des Gegners. Diese Löcher werden von Barcelona erzwungen, da die Mittelfeldspieler sich in konstantem Positionstausch befinden, sie bewegen sich relativ frei herum, wobei bei jedem Spieler ein eigenes Muster zu erkennen ist.

Fabregas versucht zum Beispiel sich oft durch diagonale Läufe in gute Position für einen tödlichen Pass oder eine Kombination zu bringen, hin und wieder rückt er sogar in die Position des Mittelstürmers auf. Messi lässt sich nach hinten fallen und übernimmt eine Rolle als Zehner oder Achter, während Iniesta in alle vier Seiten ausstrahlt. Manchmal übernimmt er die Rolle des Flügelspielers, manchmal zieht es ihn ins Zentrum oder gar gänzlich nach vorne zwischen die Schnittstellen der gegnerischen Verteidigung. Xavi wiederum verschiebt seitlich, um sich überall in den Spielaufbau einzubauen zu können oder nach vorne, um selbst Torgefahr auszuüben. Thiago zuguterletzt rückt von der Flügelposition ab, um sich nicht vom Spielgeschehen abzusperren zu lassen, er geht ins Zentrum und beteiligt sich am Kombinationsspiel. Diese Wechselspielchen sind kaum aufzuhalten und machen Barcelonas Mittelfeld wohl zum flexibelsten aller Sieger bei einem Vereinsweltmeisterschaft.

Fazit

Etwas fehlte zwar bei Barcelona Kaltblütigkeit vor dem Tor, doch zwischen den beiden Sechzehnern schien man das gesamte Spiel durch nahezu unverwundbar. Maßgenaues Passspiel, viele Tempowechsel und Rochaden ließen die taktisch unterlegenen Spieler Santos‘ verzweifeln. Bis auf ein, zwei Aktionen blieb Neymar blass, ebenso sein Team, welches nie in der Nähe eines Sieges war. Pep Guardiola holte mit seiner nominell stärksten Mannschaft den zwölften großen Titel seiner Karriere als Trainer.

maba 19. Dezember 2011 um 14:04

ich gebe zu, dass ich neymar erst 2mal live gesehen habe:
1 mal bei ger:bar und jetzt bei barca:santos, aber ich muss schon sagen, dass es für mich völlig unverständich ist warum dieser spieler 30 oder 40 mio wert sein soll.

wenn ich bedenke, dass z.b. ribery nur 24 oder neuer 22 gekostet hat und ein götze oder ein reus auch um die 20 mio kosten sollen, dann scheint mir dieses summe doch ziemlich überteuert vor.

aber wahrscheinlich kostet der nur so viel, weil es schon lange keinen jungen brasilianer mehr gegeben hat, der einen geraden pass spielen kann 😉

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HerrHAnnibal 19. Dezember 2011 um 14:42

Der Kerl hat großes Talent und daher halte ich die Ablöse auch für einigermassen gerechtfertigt. Allerdings wird er manchmal schon als kommender Weltfussballer der nächsten 5 Jahre, als Heilbringer des brasilianischen Fussballs und als besserer Messi angepriesen….

Dennoch ist er sehr schnell, gut und clever im Abschluss und eben ein wahnsinniger Dribbler.

Ich persönlich bin gespannt ob er sich in Europa umstellen kann. Bei einem Top Club wäre er nicht mehr der große Held sondern müsste sich anpassen, mehr arbeiten und viel weniger für die Galerie spielen. Ich bezweifle, dass ihm als Showman diese Anpassung leicht fallen wird.

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Puls 19. Dezember 2011 um 01:42

Mal wieder sehr starke Analyse von euch, danke und Respekt !

Barcelona war klar überlegen, nach dem 2:0 war die Sache im Prinzip schon gelaufen, mit dem 3:0 kurz vor der Halbzeit dann entgültig durch. Danach hat Barca das Tempo ein wenig rausgenommen, war dennoch klar Feldüberlegen, Santos kam zwar zu einigen Chancen, man hatte aber nie das Gefühl dass Barca irgendwas hätte anbrennen lassen. In den letzten 15 Minuten haben sie dann das Tempo wieder angezogen und auch prompt das 4:0 gemacht. Mehr als verdienter Sieg für die Katalanen und wieder mal eine Vorführung ihrer taktischen Fähigkeiten, die wohl momentan die besten aller Vereinsmannschaften sind.

Kleine Verbesserung meinerseits, es ist der 13. Titel von Guardiola. Er hat damit in seiner Amtszeit bei Barcelona 13 von 16 möglichen Titeln geholt.

Aber das nur am Rande. Nochmals Danke an euch Jungs, eure Analysen sind klasse.

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Tank 19. Dezember 2011 um 01:02

Schöne Analyse. Auch wenn man quasi jedes Barca-Spiel sieht, helfen eure Ausführungen einem die vielen kleinen bis mittleren Variationen im Spiel von Guardiolas Mannschaft zu erkennen.

Taktisch war das gestrige Spiel aus meiner Sicht erstmal schon deshalb nicht so interessant, weil Santos es barca viel zu einfach gemacht hat. Ich weiß nicht wie viele gute Möglichkeiten es gibt Barca taktisch entgegenzutreten, aber Xavi, Messi und Iniesta die Möglichkeit zu bieten in aller Seelenruhe auf eine Abwehr zuzumarschieren, die nicht aus der kompletten Mannschaft besteht, ist sicher keine.

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HerrHAnnibal 19. Dezember 2011 um 00:09

Barca hat die erste Hälfte komplett dominiert. In der zweiten Hälfte hat der Druck ein bisschen nachgelassen und Santos hatte immerhin einige kleinere Chancen ohne jemals ernsthaft Druck zu entfachen….

Und bei Barca fehlt nicht mehr viel und man agiert komplett mit 10 Mittelfeldspielern und Keeper…. 🙂

Thiago war heute etwas zu verspielt und nicht konsequent genug. Die besten Spieler für mich Messi, Xavi und Alves. Gerade letzterer mit schwachem Abschluss in einigen Szenen aber ansonsten als ständiger Unruheherd auf der dominierenden rechten Seite.

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Bern 1989 19. Dezember 2011 um 10:13

Und bei Barca fehlt nicht mehr viel und man agiert komplett mit 10 Mittelfeldspielern und Keeper…

Eher mit 11 Mittelfeldspielern, von denen einer im eigenen Strafraum auch die Hände benutzen darf… 😀

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