Glasgow City FC – Turbine Potsdam 0:7

Für Sie als Leser ist es einfach. Sie müssen es ja nicht schreiben. Aber ich muss … oder will. Und dann muss ich eben auch. 7:0, was soll ich dazu schreiben? Ich hatte es ja vorher schon geahnt. 10:0 im Hinspiel. „Das lohnt sich nicht“, dachte ich mir. Jetzt sitze ich da, bastele an der Grafik, und weiß: eine klassische Spielanalyse hat keinen Sinn.

Ich könnte die Tore in den Fokus rücken. Die Fernschüsse von de Ridder (5.) und Demann (20.). Das wirklich sehenswerte 2:0 von Mittag nach zehn Minuten. Kein schöner Spielzug, sondern nach einem Einwurf. Nur sehenswert, weil Mittag den Ball mit dem Rücken zum Tor irgendwie an der Gegenspielerin vorbeidreht. Oder das 4:0 durch de Ridder, als Alexander an der Strafraumkante zögerte. Die beiden Tore in der zweiten Halbzeit durch Mittag (62.) und Draws (73.) waren für Glasgow einfach zu schnell herausgespielt. Und kurz vor Schluss der Kopfball von Kerschowski (88.).

Ich könnte auch über Glasgow FC schreiben, über die Deutsche im Team oder das 4-1-4-1 und wie sie spielen wollten. Dass sie ohne Punktverlust schottischer Meister wurden.

Was denken wohl die Fans, wenn das eigene Team, von dem man nur Siege gewohnt ist, so demontiert wird? Was denken die Gegner, die in der Liga zusammen über 100 Tore gegen Glasgow kassiert haben?

Darüber schreibe ich besser nicht.

Ernst nehmen wollten die Potsdamer das Spiel, aus Respekt vor dem Gegner und den Fans. Was bedeutet Respekt nach einem 10:0 Sieg? Die halbe Startelf wechseln und trotzdem problemlos gewinnen? Das nenne ich mal ernst genommen.

Ich könnte auch über Bernd Schröder schreiben. Ihn vergleichen mit … mit wem eigentlich? Generation Alex Ferguson. Vielleicht Walerij Lobanowskyj oder Guy Roux? Gibt es taktische Gemeinsamkeiten mit Marcelo Bielsa?

Wir sollten vielleicht mal ein Portrait über Bernd Schröder bringen. Oder gibt es das schon irgendwo anders?

Vielleicht sollte Schröder mal die Nationalelf übernehmen. So wie beim Basketball. Nein, das war ja anders herum. Der Nationaltrainer wurde im Nebenjob Trainer von Bayern München und durfte groß einkaufen gehen. Vielleicht sollten die Bayern das beim Frauenfußball auch machen. Silvia Neid verpflichten und Hope Solo, Lotta Schelin und Co. dazu. Mit welchem Torjubel macht Bastian Schweinsteiger wohl Werbung für Frauenfußball?

Jetzt schweife ich ab. Selbst schuld die Potsdamer, wenn die so einfach 17:0 gewinnen. Sollte ich eine Diskussion über das Leistungsgefälle im Frauenfußball anfangen? Dort die Amateure aus Schottland und hier Großclubs aus Deutschland, mit Anbindung an Leistungszentren, Eliteschulen usw. Aber in der Bundesliga sind die meisten Spielerinnen auch nur Halbprofis bzw. Amateure.

Außerdem bietet der Frauenfußball noch Platz für Fußballromantiker, für Träumer. Wo kann man bei den Männern schon als Freizeitkicker mal gegen einen europäischen Spitzenclub spielen, in einem Wettbewerb? Vielleicht in der ersten Runde im DFB Pokal. Na ja, ne reale Chance hatten die Glasgower nicht. Also auch kein Thema, vor allem hat es nichts mit Taktik zu tun.

Ich könnte Turbine Potsdam auch mit dem FC Barcelona vergleichen. 3-4-3 und so. Ein paar Gemeinsamkeiten gibt es, aber auch Unterschiede. Turbine spielt kein Tiqui Taca. Brauchen sie auch nicht. Den Gegner müde spielen? Dafür ist Potsdam zu geradlinig und zu effektiv. Mit weiten Mittelfeldspielern und nicht wie Barça mit einer engen Raute spielt Turbine, noch ein Unterschied.

Potsdam hat auch nicht Messi. In der letzten Saison Bajramaj, aber die ist ja weg. Nach Madrid … äh Frankfurt. Glasgow ist nicht Madrid. Ist das 7:0 überhaupt etwas wert? Vergleichbar mit Barças 5:0 gegen Real? Oder United gegen Arsenal, 8:2? Sicher nicht. Aber Sonntag geht es gegen Frankfurt. Die haben immerhin im Pokalfinale gewonnen. Ist aber auch schon ein halbes Jahr her. Danach kam die WM, ohne Bernd Schröder, ohne viele Spielerinnen von Turbine Potsdam, meistens auch ohne Bajramaj. Und jetzt ist Frankfurt in der Findungsphase. Gegen wen hat Turbine denn noch verloren? Olympique Lyon. Champions League Finale! Sind die noch besser als Turbine? Noch mehr Pressing? Noch sicherere Pässe? Kaum zu glauben. Gleich mal aufschreiben: „Spiel von Olympique Lyon anschauen. Frauen, nicht Männer!“

Wie haben die eigentlich gespielt? – Gestern 6:0 gewonnen. Und heute?

Malmö – Neulengbach 1:0, Malmö weiter. Und Göteborg 3:2 gegen Fortuna Hjörring. Aha.

Nach dem Hinspiel hatte ich mich rausgewunden und einfach eine Zusammenfassung zu beiden deutschen Spielen geliefert. Das ging jetzt nicht, zu Frankfurt wurde der Text zu lang. Aber Turbine muss ich jetzt auch behandeln, ist ja am Sonntag Spitzenspiel. Der Leser muss doch wissen was ihn erwartet.

Übers Pressing könnte ich schreiben. Darüber, dass die Stürmerinnen schon früh stören. Darüber, wie die anderen Spielerinnen nachrücken. Man glaubt fast die spielen Manndeckung. Außenverteidiger werden unter Druck gesetzt. Den Innenverteidigerinnen werden zumindest die Passoptionen genommen. Eigentlich hat Potsdam im Mittelfeld sogar Unterzahl. 2 gegen 3. Dann rückt Zietz einfach auf und kümmert sich um eine Spielerin.

In der Abwehr wird sie eh selten gebraucht, im Aufbau steht sie wieder hinten und die Stürmerinnen lassen sich fallen. Was ist das? Eine 3er-Kette, die sich auflöst? Eine 4er-Kette mit zwei extrem offensiven Außenverteidigerinnen? Peter und Kemme sind fast wie Libero und Manndecker, davor eine Doppel-6. Und im nächsten Moment wieder drei Verteidiger und Demann alleine vor der Abwehr.

Immer nach vorne war die Devise gegen Glasgow, besonders ohne Ball. Immer Druck machen. Bei einem Abstoß von Glasgow habe ich sieben blaue Spielerinnen in der Spielhälfte von Glasgow gezählt. Und es waren bestimmt nicht alle im Bild. Ein unglaublicher Druck, besonders für ein Team, dass Pressing gegen sich wohl nicht gewohnt ist. Dass Potsdams System fast wie Manndeckung aussieht ist kein Wunder. Ohne engen Kontakt zu den Gegenspielerinnen würde Angriffspressing nicht funktionieren.

Und wenn Turbine dann den Ball erobert hat, sind die Spielerinnen immer in Bewegung um sich anzubieten. Trotz der vielen Ersatzspielerinnen funktionierte das Passspiel sehr gut. Aber Glasgow war auch ein fairer Gegner, vielleicht zu fair. So viel Platz bekommen die Turbinen sicher nicht noch mal in dieser Saison.

So was könnte ich schreiben. Ob’s jemand liest ist ne andere Frage. 7:0, und dann auch noch Frauenfußball. Ich kenne die Kommentare von anderen Seiten.

Ich glaube, ich lass das lieber und schreib keine Analyse.

HW 11. November 2011 um 19:20

Es besteht keine Notwendigkeit für Rechtfertigungen.

Mir ging es nicht um das Thema Frauenfußball. Sondern darum, dass es nach einem 10:0 wenig Sinn macht auch noch ein 7:0 als Analyse zu bringen. Egal ob bei Frauen oder Männern. Egal ob Potsdam – Glasgow, Barcelona – Real oder United – City.
Natürlich hat das Spiel im Kontext Frauenfußball stattgefunden, daher kann ich es nicht ausblenden. Es wäre auch falsch das zu tun. Aber wirklich wichtig ist es nicht ob ich über Männer, Frauen, Profis oder 12-jährige schreibe. Das zeigt sich erst beim Interesse potentieller Leser („Marktpotential“).

Wahrscheinlich lesen sogar mehr Leute diese Art Atikel, als eine normale Analyse. Ist auch okay.

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vastel 11. November 2011 um 16:04

Nichts gegen Frauenfußball an sich, jeder nach seinem gusto, aber anschauen möchte ich mir das nicht. Spätestens seit der Frauen-WM ist mir klargeworden, dass da einfach Welten dazwischen liegen und man(n) vom Männerfußball „verwöhnt“ ist.

Damit schmälere ich nicht die Leistung der Frauen oder bin Sexist. Jeder soll machen wie er will. Ich möchte es lediglich nicht ansehen 😉

Dennoch danke für den etwas anderen Einblick in den Frauenfußball 😉

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Hendrik 12. November 2011 um 00:03

Naja. Das Finale bei der Frauen-WM war wesentlich unterhaltsamer anzusehen als das Getrete zwischen Spanien und Holland im Jahr zuvor. Und USA-Brasilien war eins der dramatischsten Spiele, das ich in den letzten Jahren gesehen habe,

Das Potential ist also da. Das Problem ist international wie national das weiterhin sehr grosse Leistungsgefaelle. Deswegen hat es mich auch gefreut, dass Freiburg letzten Sonntag gegen Frankfurt gewonnen hat, auch wenn’s eher Dusel war.

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datschge 12. November 2011 um 14:25

Mit dem Leistungsgefälle kommt wohl auch ein zwangsläufiges Qualitätsgefälle bei vielen Kommentatoren. Da kann sich noch vieles bei allen Involvierten bessern. 😉

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Villas-Boas276 11. November 2011 um 11:38

Aber auch schön mal sowas nicht ganz so ernstgenommenes zu lesen 🙂

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SAMsg 11. November 2011 um 14:48

Stimmt :). Mal richtig „leichte Kost“ auf dieser Seite :). Aber die Taktiktafel ist gewissenhaft bemalt…

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SAMsg 11. November 2011 um 11:25

Ich hab das Spiel teilweise auch gesehen. Nichts gegen die Frauen (niemals!) – aber beim Fussball ist es fast gleich schlimm wie beim Tennis. Es ist beinahe ein anderer Sport – zwischen Männer- und Frauen-Fussball liegen Welten.

Wobei die Gründe natürlich zahlreich sind (Körperliche Voraussetzungen, Profitum…).

Und – ja – es ist wohl besser, dass es keine Analyse gab. Taktik wird erst wichtig und interessant, wenn der Leistungsunterschie zwischen zwei Teams nicht in „Universen“ gemessen werden muss.

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