Levante UD – Das Überraschungsteam in Spanien

Levante ist die absolute Überraschung in den europäischen  Top-Ligen bisher – die spanische La Liga mit 8 Siegen aus 10 Spielen noch ungeschlagen anführend vor den beiden Großmächten aus Barcelona und Madrid.

Ihr Erfolg ist so eine schöne Geschichte, dass sich selbst die ausländischen Medien frenetisch darauf stürzen, und sie ist so schön, weil mit Levante ein Team die Liga „rockt“, welches eigentlich immer für viele wie der ewige Loser war. Man stand immer im Schatten von Valencia, war lange Zeit nur zweitklassig und machte vor einigen Jahren Negativschlagzeilen, als der komplette Kader streikte, da keinem einzigen Spieler auch nur ein Monatsgehalt gezahlt wurde.

Nun steht man nach Siegen über Real Madrid (1:0), Málaga (3:0) und Villarreal (3:0) an der Tabellenspitze mit einer Mannschaft, die fast ausschließlich aus Spielern besteht, die anderswo scheiterten und nun eine neue Heimat gefunden haben. Dass das Durchschnittsalter meist über 30 Jahren liegt – in einem Spiel waren es 32 – ist dennoch höchst ungewöhnlich.

Vielleicht liegt es an der Erfahrung, dass man die sicherste Defensive der Liga stellt und bis zum gestrigen Spiel gegen Real Sociedad nur dreimal hinter sich greifen musste. Es klingt wie eine abgedroschene und oberflächliche Phrase, doch es enthält einiges an Wahrheit. Der 36jährige Ballesteros ordnet die Abwehr mit löblicher Umsicht und Intelligenz, der 35jährige Juanfran zeigt sich zweikampfstark (was er muss, wie wir nachher noch sehen werden)und immer noch fähig, die linke Seite hoch und runter zu bearbeiten. Die viel größere Wirkung der bisherigen Karriereerfahrungen der Spieler ist allerdings psychologischer Natur – als Gescheiterte abgestempelt, wollen sie es der Welt noch einmal richtig zeigen. Mit Juan Martínez hat man dafür exakt den richtigen Trainer gefunden. Selbst war er nie Profispieler, doch präsentiert sich als herausragender Motivator, der den Spielern Selbstvertrauen, Sicherheit und Wichtigkeit vermitteln kann.

Taktisch setzt er auf die klare Marschroute Konter – keinesfalls neu, aber mehr als legitim. Man reiht sich in einem 4-4-2 mit zwei eng stehenden Viererketten vor dem eigenen Tor auf und verengt die Räume. Auch die beiden Spitzen arbeiten sehr diszipliniert und effektiv mit. Überspitzt gesagt ist das Besondere an Levantes taktischer Ausrichtung, dass sie eigentlich gar nicht besonders ist, sondern zu großen Teilen Standard. Die Mannschaft lässt sich nicht auffällig wenige gegnerische Chancen zu – in dieser Kategorie findet man sich fast auf einem Abstiegsplatz wieder – und spielt sich auch nicht besonders viele Chancen heraus.

Natürlich ist es nicht ganz so eindeutig, denn mit einem Standard-Konter-4-4-2 wäre ein solcher Erfolg ziemlich unmöglich. Essentiell für das System Levantes sind die beiden Mittelfeldspieler auf den Außenbahnen. Valdo auf rechts und Juanlu auf links haben vor allem in der Defensive sehr gute Qualitäten. Hier sind sie aufgrund ihrer Dynamik und Ausdauer sowie ihrer Ausbildung hervorragend in der Lage, einen defensiven Hybrid-Job zu übernehmen, also sowohl den gegnerischen Außenverteidiger zu neutralisieren, als auch im Zentrum zu helfen und dieses noch stärker zu verdichten. Desweiteren verstehen sie es, mit ihrem Stellungsspiel die Verbindung zwischen dem gegnerischen Mittelfeld und den offensiven Außen abzutrennen und Letztere von ihren Kollegen zu isolieren.

So kann man die meiste Zeit des Spiels sicher stehen, doch man wird zwangsläufig einige Chancen zulassen, was bei einer tiefen Abwehr und nur 39 % durchschnittlichem Ballbesitz gar nicht anders möglich ist. Der Weg zum Tor ist für den Gegner hier kürzer, der Gegner hat mehr „Zeit“ um Chancen zu erspielen und ein eigener individueller Fehler hat bei einer solchen Ausrichtung meist gravierende(re) Folgen. Der springende Punkt bei den gegnerischen Abschlüssen ist im Übrigen, dass eine solche Zahl noch nichts über die Qualität der Chancen aussagt. In der Tat kommen nur etwa 37 % der gegnerischen Abschlussversuche auch auf das Tor – deutlich geringer als der durchschnittliche Liga-Wert von knapp über 47 %.

Bei einem Ballgewinn schaltet man schnell um und fährt die blitzschnellen Konter, welche längst zu einem Markenzeichen geworden sind. Auch verfügt man über einige interessante taktische Mittel, welche auf einem wichtigen Vorteil gegenüber dem Gegner aufbauen. Weil man das Ausschalten der gegnerischen Flügel so gut beherrscht, werden die Außenverteidiger noch offensiver werden, weil man diese ebenfalls ausschaltet, nimmt der Effekt womöglich gar noch zu.

Den Raum hinter den aufgerückten Flügelverteidigern kann man dann gnadenlos ausnutzen und mit den schnellen Gegenstößen bespielen. Deutlich offensiver agiert hier Valdo, so dass man manchmal schon auf den Gedanken kommt, er würde mit dem etwas tieferen Barkero im halblinken Sturmzentrum ein Flügelstürmerpaar in einem asymmetrischen 4-3-3 bilden. Doch unabhängig davon, wie man das System nun benennt und notiert, ist entscheidend, wer wann welche Räume besetzt – Valdo macht es bei Kontern rechts im letzten Drittel exzellent, Juanlu im zweiten.

Ermöglicht wird dieses offensive Auftreten Valdos durch den rechten zentralen Mittelfeldspieler, der ihm im defensiven Doppeln einiges an Arbeit abnimmt und dort einen exzellenten Job verrichtet. Das Geniale an diesem simplen Zug ist allerdings nicht seine Einfachheit, sondern die Tatsache, dass man so zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt – man steht hinten sicherer und verlangt dem Gegner mehr Risiko ab, doch gleichzeitig erhöht man die eigene potentielle Kontergefahr.

So laufen fast 50 % aller Angriffe über die rechte Seite. Valdo zieht von dort zum Strafraum und kann entweder selbst abschließen, in der Mitte einen der Stürmer bedienen oder den aufrückenden Juanlu anspielen, welcher durch seine tiefe Positionierung sowie die gegnerische Fokussierung auf die andere Flanke häufig unbewacht ist oder sich beim Vorstoß in den 16er von seinem Gegenspieler löst, was er sehr gut beherrscht. Als tiefer Außenmittelfeldspieler ist er mit 5 Toren bester Schütze und 29 % der Angriffe werden von links abgeschlossen.

Einer der beiden Stürmer ist der Ivorer Arouna Koné, dessen vielversprechende Karriere nach seinem Wechsel zu Sevilla ins Stocken geriet, wo er seit 2007 nur 1 Tor in der Primera Division erzielen konnte. Seit diesem Sommer zeigt er seine Klasse, doch trotz der bisher markierten 3 Treffer ist sein eigentlicher Wert für die Mannschaft ein anderer. Er zieht nicht nur viele Gegner auf sich, sondern ist vor allem im Konterspiel ein integraler Bestandteil der Strategie. Diese sieht vor, dass er zum einen im Stile eines Zielspielers Bälle hält und ablegt und zum anderen sich auf die rechte Seite bewegt, wo er für Valdo Anspielstation, Kombinationspartner und Raum öffnender Prellbock sein kann, während er zugleich Barkero, der einige gute Pässe spielt, und Juanlu aus dem gegnerischen Fokus nimmt. Diese konnten so zu den beiden Topscorern Levantes aufsteigen.

Doch nicht nur im Konter konzentriert sich das eigene Spiel auf die rechte Seite, sondern auch bei selbst aufgebauten Spielzügen. Valdo, Außenverteidiger Venta, die beiden Stürmer und die beiden zentralen Mittelfeldspieler helfen bei einem Angriff auf dieser Seite (wegen dieses Rechtsdrangs des Mittelfeld-Duos benötigt Juanfran unbedingt die eingangs erwähnte Zweikampfstärke) und stellen eine Überzahl in Ballnähe her – ein Konzept, welches auch den FC Bayern diese Saison  so erfolgreich macht.

So wunderbar dieses „Märchen von Levante“ auch klingen mag, so gibt es auch eine Kehrseite der Medaille – jedenfalls dürften die meisten Fußballfans dies so sehen. Nicht erst seit gestern ist man für versteckte Provokationen und Nickligkeiten bekannt – man kassierte die zweitmeisten gelben Karten für unsportliches Verhalten, übertroffen passenderweise von Nachbar Valencia – und hat dies zu einem weiteren Pfeiler der eigenen Strategie gemacht. Auch wenn der eigene Spielstil mit den schnellen Angriffen, bei denen man nicht selten frei vor das gegnerische Tor bricht, seine Finger im Spiel haben mag, waren es doch eher die „dunklen Mittel“ des Fußballs, die dazu führten, dass man in den bisherigen Saisonspielen bereits unfassbare 7 Platzverweise bei den Gegnern provozieren konnte. Für ein Konterteam ist eine gegnerische Unterzahl meist effektiver (natürlich ist es auch für andere Stile meist nicht nachteilig) als bspw. für eine ballbesitzorientierte Mannschaft, denn hier kann der Gegner von einem defensiven 4-4-2 zu einem 4-4-1 wechseln und hat immer noch seine zwei sicheren Viererketten in der Defensive.

Aber dies ist nur ein kleiner Aspekt, der hier unsportlich klingen mag, aber verglichen mit der Realität auch überzeichnet – Levante ist keine zynische oder hässliche Mannschaft, die sich ausschließlich über unfaire Mittel definiert. Man ist bodenständig geblieben, man weiß um die Wärme, die man vom Klub bekommen hat, und von einer gewissen Familiarität und man weiß um die eigenen Limitationen.

Auf die Frage, ob man den Titel holen könnte, antworte Innenverteidiger Nano mit einem kurzen, präzisen und einfachen „Nein“. „Internationaler Wettbewerb?“ – „Nein“. „Gibt es einen Traum für Levante?“ – „Nein“.

Für das offizielle Ziel Klassenerhalt hat man sich schon ein saftiges Polster erspielt. Dass es so weitergehen wird, erwartet niemand, aber für die eine oder andere Überraschung wird man noch sorgen können und solange es so aussieht wie jetzt, wird ein kleiner, traditionsreicher Klub von großen Sympathien getragen und genießt die beste Zeit seines „Lebens“…

Der Tor des Monats 29. Oktober 2011 um 11:32

Bitte mehr von solchen Mannschaftsanalysen!
Diese ist auch wieder sehr gut gelungen!

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werda 28. Oktober 2011 um 12:51

Die Kombination aus erfahrenen aber noch titellosen Spielern hat den Dallas Mavericks den Titel gebracht. Gut, hier unwahrscheinlich und auc ne andere Sportart, aber das Konzept kann aufgehen.

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benditlikebender 28. Oktober 2011 um 15:18

Musste auch kurz an einen Dallas-Vergleich denken, als ich diesen Artikel las. Gewichtigster Unterschied ist wohl, nicht nur die Sportart, sondern, dass Levante keinen Nowitzki, also keinen einzigen Spieler hat, der irgendwie herausragt.

Asked if Levante could win the league, defender Nano said simply: „No.“ What about getting a European place? „No.“ Isn’t there any room to dream at all? „No.“

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44² 28. Oktober 2011 um 08:30

Ah, schön dass ihr die behandelt. Ich hab vor dem Sontagsspiel erst bemerkt, was da passiert, und war logischerweise sehr überrascht. Hatte mir vorgenommen, mir das mal näher anzuschauen, sehr aufschlussreicher Artikel daher.
Die erste Hälfte gegen Villarreal hatte ich angekuckt und da war die Rechtslastigkeit und Konter-Orientierung bereits sehr auffällig, kann dem Artikel also nur zustimmen, soweit ich’s beurteilen kann. Schönes Beispiel dafür, wie wichtig und effektiv Asymmetrie sein kann.

Ein Punkt noch: Ich hatte den Eindruck, dass Levante extrem darauf fixiert ist, dass sie flache Hereingaben direkt vor’s Tor schlagen. Meines Erachtens ist das auch im Allgemeinen die leichteste Methode ein Tor zu erzielen, daher halt ich das für eine sehr gute Strategie. Könnte sich als Markenzeichen von Juan Martinez herausstellen. Der empfiehlt sich ja wie kaum ein anderer mit seiner ersten Erstligastation direkt für größere Aufgaben. Bin gespannt.

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