FSV Mainz 05 – Borussia Dortmund 1:2

Der FSV Mainz zeigt gegen Borussia Dortmund lange Zeit eine gute Defensivleistung. Am Ende dreht der Meister nach einer verbesserten zweiten Halbzeit gegen müde werdende Mainzer einen Rückstand.

Tuchels Formationsspielereien

Vor dem Spiel meldeten sich die ersten kritischen Stimmen beim BVB. Aufgrund des dürftigen Saisonstarts brauchte Jürgen Klopp einen Sieg – keine leichte Sache gegen die taktisch immer bestens eingestellten Rheinland-Pfälzer. Er stellte seine Mannschaft in der altbekannten 4-2-3-1 Aufstellung auf. Thomas Tuchel ist auf der Gegenseite dafür bekannt, keine „altbekannte Lieblingsformation“ zu besitzen – die Mainzer wechseln das System wie die Hamburger ihren Trainer. Nachdem sie mit einem 4-3-3 begannen, rückte in der Folge Müller öfters in die Mitte, so dass in manchen Situationen ein 4-4-2 mit Mittelfeldraute entstand.

Tuchels Entscheidung für diese Formationen entpuppte sich schnell als goldrichtig. In der Offensive attackierten Choupo-Moting, Müller und Risse sehr aggressiv und lenkten den gegnerischen Spielaufbau auf die Außen. Die Dreierreihe im Mittelfeld rückte dann sehr engmaschig auf die Flanken, um in Ballnähe eine Überzahlsituation zu kreieren. Die Dortmunder Außen waren praktisch immer drei Gegenspielern ausgesetzt: Einem Außenstürmer, einem Mittelfeldspieler und einem Außenverteidiger. Dazu halfen die Mittelfeldspieler aus, die Passwege in die Mitte zu schließen.

Anhand der letzten Spiele des BVBs war diese Taktik auf dem Papier gut gewählt. Über die Außen konnten die Dortmunder bisher in der Saison wenig Gefahr ausstrahlen. Ihre Flanken waren meistens ungenau, dazu fehlt in der Mitte ein kopfballstarker Stürmer wie Barrios. In der Anfangsphase zeigte sich aber, dass der BVB diese Schwäche unter der Woche trainiert haben muss: Die größte Chance verbuchte Lewandowski früh per Kopf, Müller vereitelte mit einer Glanztat (10.). Gerade bei hohen Bällen waren die Schwarz-Gelben besser eingestellt als zuletzt.

Mainzer Konterspiel

Dies war jedoch die einzig richtig große Chance für den BVB. Insgesamt standen die Hausherren sehr gut in der Defensive. Die Gegenspieler wurden direkt unter Druck gesetzt, meist von mehreren Spielern. Einzig die Dortmunder Passsicherheit im Mittelfeld verhinderte, dass Tuchels Mannen viele Ballgewinne verbuchen konnten.

Nach vorne bauten die Mainzer auf lange Bälle und schnelle Konter. Kritiker werden sagen, sie haben mit dieser Taktik wenig Schaden angerichtet – immerhin kamen sie in den ersten 30 Minuten zu keiner einzigen Chance. In der Tat, oft landeten ihre hohen Bälle direkt beim Gegner. Diese Strategie hatte jedoch einen angenehmen Nebeneffekt: Dadurch, dass sie den Ball schnell nach vorne spielten, verloren sie ihn nicht in der eigenen Hälfte. Was zunächst trivial klingt, ist gegen das Pressing des BVBs ein Erfolgsgarant: Der FSV hatte bei Ballverlusten immer mindestens sieben Mann hinter dem Ball, so dass sich für die schnellen Angriffe des Meisters keine Räume boten. Einen einzigen Fehlpass spielten sie über 90 Minuten im eigenen Drittel, in der eigenen Hälfte war die Anzahl ebenfalls unter 10 – Topwerte gegen die aggressiven Dortmunder.

Nach rund 30 Minuten waren die Rollen klar verteilt: Die Dortmunder ließen Ball und Gegner laufen, ohne sich oft durch die dichte Mainzer Reihen durchkombinieren zu können. Ihre Gegner hofften auf den einen erfolgreichen Konter. In der 33. Minute war es für sie soweit: Piszczek spielte am eigenen Sechzehner nach Ballgewinn einen riskanten Querpass in die Mitte, der von einem Angreifer zu Müller weitergespitzelt wurde. Nachdem Hummels seinen ersten Schuss abblocken konnte, traf er im zweiten Versuch aus dem Sitz zum Führungstreffer (33.).

Dortmund nach der Pause stärker

Die Floskel „unverdiente Führung“ ist im Fußball immer grenzwertig. Sicher, Borussia Dortmund hatte mehr Spielanteile und mehr Torchancen, während die Mainzer bis dahin keine Chance verbuchen konnten. Trotzdem war die Defensivstrategie der Gastgeber gut durchdacht. Dass sie plötzlich in Führung gingen, war auch dem wenig strukturierten Spiel der Dortmunder geschuldet. Gerade aus der Mittelfeldzentrale kamen erneut wenige Impulse. Gündogan spielt zu oft quer und zu selten vertikal, so dass Innenverteidiger Hummels mittlerweile der heimliche Spielmacher ist. Doch aus der Abwehrzentrale konnte er zu selten Kagawa bedienen, der in der Zentrale meist in der Luft hing. Auch wenn die Mainzer praktisch nur eine Chance hatten, ging die Führung ob ihrer guten Defensivleistung in Ordnung. Nur einmal kam der BVB in 45 Minuten hinter die gegnerische Abwehrreihe, als Lewandowski nach einem langen Ball allein auf Müllers Tor zulief und am Keeper scheiterte (42.)

Nach der Halbzeitpause wurde der BVB stärker. Perisic, Kagawa und Götze interpretierten jetzt ihre Rollen viel freier und tauschten oft die Positionen miteinander. Dies belebte die Offensive der Gäste spürbar. Die Mainzer verteidigten mittlerweile mit einem Mischmasch aus 4-3-3 und 4-3-2-1 und standen nun merklich tiefer als noch in Halbzeit eins. Die laufintensiven ersten 45 Minuten schienen ihren Tribut zu zollen. Sie waren in der Folge nicht mehr so nah an ihren Gegnern wie noch in der Hälfte eins.

Hummels hielt jetzt wenig hinten, und so war er noch mehr als zuvor eins in die Angriffe eingebunden. Er war nun spielgestaltender Sechser bei den Borussen. Insgesamt war die Phase direkt nach dem Wiederanpfiff die stärkste im BVB-Spiel, doch abermals brachten sie sich durch ihre schwache Chancenverwertung um den eigenen Lohn. Der Ausgleichstreffer durch Perisic war in der Entstehung etwas glücklich, aber dennoch verdient (64.). Allerdings hätten sie zu dieser Zeit bereits höher führen können. Zu oft fehlte ihnen jedoch im letzten Drittel die entscheidende Präzision. Götze und Kagawa sind nicht in der selben Form wie zu ihren Hochzeiten letzte Saison, und Gündogan kann wie erwähnt die Sahin-Lücke nicht füllen.

Trainer können mit ihren Wechseln keine Akzente setzen

Nach dem Ausgleichstreffer verflachte das Spiel zusehends. Beide Mannschaften schienen kräftemäßig abzubauen – kein Wunder, am Ende hatten die Dortmunder mit 124 gelaufenen Kilometer einen Topwert zu verbuchen, und auch die Mainzer liefen mit 118 Kilometern überdurchschnittlich viel. Die Angriffe beider Seiten wurden unkontrollierter. Torszenen wurden zur Mangelware.

Beide Trainer wollten mit Einwechslungen das Ruder herumreißen. Jürgen Klopp brachte mit Moritz Leitner (70., für Kagawa) einen weiteren Mittelfeldspieler. Anders als der Japaner fiel er oft an den Mittelkreis zurück, um dort als dritter Sechser die Offensivkräfte besser ins Spiel einbinden zu können. Der wieder genesene Barrios (75., für Lewandowski) sollte nach seiner Einwechslung im gegnerischen 16er durch seine physische Präsenz für Gefahr sorgen. Doch beide Wechsel brachten nicht die erhoffte Besserung. Auch der spät eingewechselte Blaszczykowski (86., für Gündogan) konnte keine Akzente mehr setzen.

Thomas Tuchel versuchte dem Spiel mit der Einwechslung Ivanschitz´ (75. für Müller), die eine Umstellung auf 4-4-1-1 und damit eine bessere defensive Absicherung bedeutete, nochmals eine Wende zu geben. Als sie zehn Minuten vor Schluss zwei, drei gute Kontergelegenheiten liegen ließen, glaubte man, das Momentum drehe sich zu ihren Gunsten. Kurz vor Schluss war es dann aber Piszczek, der mit viel Mut und etwas Glück eine Direktabnahme aus großer Entfernung im Mainzer Tor unterbrachte (90.). Das Spiel fand seine späte Entscheidung.

Fazit

Thomas Tuchels Team muss eine Last-Minute-Schlappe hinnehmen. Seine Taktik, auf direkt gespielte Konter zu setzen, war auf dem Papier die richtige. Die geringe Anzahl an gespielten Pässen (nur 148, zum Vergleich: Der BVB spielte 531) verdeutlicht, dass sein Team immer den direkten und riskanten Weg zum gegnerischen Tor suchte. Es beeindruckte vor allem, dass sie in der eigenen Hälfte kaum Ballverluste verbuchten. Im Spiel nach vorne verloren sie allerdings in mancher Situation unnötig den Ball. In manchen Situationen hätten Risse oder Müller den Ball früher spielen müssen. Schade auch, dass Choupo-Moting bereits nach 43 Minuten verletzt den Platz verlassen musste (es kam Ujah) – seine Stärke bei Kontern hätte seinem Team in Hälfte zwei gut getan.

Die Dortmunder fanden erst nach der Pause richtig ins Spiel. Die nun freier agierenden Offensivkräfte sorgten mit ihrer individuellen Klasse für Gefahr. Auch das Spiel über die Außen funktioniert besser als zu Saisonbeginn. Noch immer Sorgen bereitet allerdings die geringe Kreativität in der Mittelfeldzentrale. Die ständigen Wechsel auf dieser Position verdeutlichen, dass Klopp seine Idealformation noch nicht gefunden hat – auch wenn er in einigen Spielen verletzungsbedingt zu diesen Wechseln gezwungen war. So ist aktuell Hummels der heimliche Spielmacher des BVBs – eine riskante Taktik, da dieser oft aufrückt und so Löcher in der Defensive hinterlässt. Mainz konnte das heute nicht ausnutzen.

vastel 1. Oktober 2011 um 17:50

Perisic ist in meinen Augen auch für die 8er Position ungeeignet, da er zwar sehr gute Offensivqualitäten mitbringt, aber defensiv noch zu schwach ist und durch seine Torgefahr „da hinten“ meiner Meinung nach verschwendet wäre.

Leitner wäre auch mein Topkandidat auf der 8. Man sollte ihm zumindest 2,3 mal die Chance von Beginn an geben, wobei heute im Spiel gegen Augsburg Gündogan anscheinend die Vertikalpässe für sich entdeckt hat. Das gefiel mir wesentlich besser als sonst. Vielleicht hat JK hier mitgelesen und Gündo ein paar Worte mitgegeben 😀

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vastel 1. Oktober 2011 um 17:51

Beitrag war als Antwort auf datschge bzw. Hummelsfan eins weiter oben gedacht…

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44² 1. Oktober 2011 um 19:02

Hmm? Laut Bundesliga.de-Matrix hat Gündogan ganze ZWEI Pässe ins letzte Spielfelddrittel gespielt. (Deckt sich etwa mit meinem Eindruck.)

Dafür hat er eine fast lächerliche Passquote von 97%. Ein einziger Fehlpass.

Gündogan soll nicht vertikale Sahin-Pässe spielen, sondern kurz kombinieren, Dribbeln, Ball halten.

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Hummelsfan 26. September 2011 um 10:53

Wenn Hummels der heimliche Spielmacher ist, könnte Klopp ihn doch statt Gündogan als zweiten 6er einsetzen und hinten mit Santana und Subotic spielen?!

Es wäre zumindest einen Versuch wert.

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datschge 26. September 2011 um 12:59

Ich schätze, dafür ist die Personaldecke der IVs beim BVB zu dünn (wer kommt nach Santana? Nur Hornschuh?).

Ich finde es etwas schade, dass Klopp in der Vorbereitung so viele vielversprechende Aufstellungsvarianten ausprobiert hat, jetzt nach Anfang der Saison aber so lange braucht, um auf diese zurückzukommen. Perisic mit seiner Torgefahr hätte so z.B. schon viel früher gesetzt sein können. Gündogan wird wohl nie richtig zum vertikalen Passspieler werden, ist deswegen mMn im 3er OMF besser aufgehoben als auf der Sechs. Perisic, Götze, Leitner und auch Kagawa könnten alle die offensive Sechs dynamischer ausfüllen als es Gündogan bisher tat.

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Hummelsfan 26. September 2011 um 14:19

Ja, die Personaldecke ist wirklich etwas dünn. Es wäre ja auch nur ein Experiment. Sobald Santana oder Subotic nicht spielen könnten, wäre Hummels wieder IV. Also keine dauerhafte Lösung derzeit.

…Bin auch deiner Meinung. Leitner z.B. galt als einer der Gewinner der Vorbereitung und hat bisher kaum gespielt. Vllt. könnte er ja die offensive 6 spielen. Kagawa und Götze brauchen wir m. M. n. eher in der Offensive. Perisic kann die 6, glaube ich, nicht so gut spielen.

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alathar 24. September 2011 um 22:33

Großes Lob … 🙂

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Slash 24. September 2011 um 22:30

Tolle Analyse! Macht weiter so…

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44² 24. September 2011 um 21:49

Das x’te Fragezeichen hinter das Mysterium, weshalb das 4-3-2-1 eine derartige Randerscheinung im Profifußball ist.

Als unterlegene Mannschaft gegen einen Gegner, der stark im Zentrum ist, müsste das m.E. totaler Standard sein.

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Otsch 1. Oktober 2011 um 14:23

Mich würde auch mal interessieren, wieso das von Tuchel gg den BVB praktizierte 4-3-2-1 nicht so zum Zug kommt wie das nahezu überall gespielte 4-2-3-1 bzw. der anscheinend neuste Trend 4-1-4-1, was sich mMn kaum vom 4-2-3-1 unterscheidet. Auch das klassische 4-4-2 (flach) bzw. das 4-4-2 mit Raute wird diesem System meist vorgezogen. Kann mir das jmd erklären/erläutern?

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sFnklr 24. September 2011 um 20:23

Die ständigen Wechsel in der Mittelfeldzentrale waren bisher IMMER Verletzungen bzw. Sperren geschuldet. Bis zum Spiel in Hannover (Bender fiel verletzungsbedingt aus) und dem CL-Spiel gegen Arsenal agierte die Doppelsechs immer mit gleicher Besetzung.

An dieser Stelle nochmal dickes Lob an euren Blog, er ist wirklich sensationell. Bis vor Kurzem kannte ich ihn gar nicht, und hab schon lange so etwas gesucht. Macht echt weiter so, klasse Job!

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