Novara Calcio – Inter 3:1

Nun ist sie da – die ganz große Krise für Inter. Auch bei Aufsteiger Novara gab es eine Niederlage, eine verdiente noch dazu, und bereits die zweite im dritten Ligaspiel. Trainer Gasperini wurde mittlerweile entlassen.

Diesmal entschied sich Gasperini für ein 3-4-3, auf der Gegenseite wurde ein als Raute angeordnetes 4-4-2 auf den Platz gebracht. Allerdings war es eine sehr flexible Raute, die sich immer sehr gut an die Bedingungen anpasste und somit einen großen Teil zum Sieg des Außenseiters beitrug.

Novaras moderne Raute

Aus der Mode gekommen ist die Raute noch lange nicht, wie in dieser Spielzeit sehr erfolgreich wieder Werder Bremen beweist und wie besonders in der vergangenen Saison am Beispiel des FC Barcelona zu sehen war. Diese spielten die Raute allerdings aus einem 4-3-3 und nicht aus einem 4-4-2 heraus, doch auch Novara zeigte auch in diesem Spiel eine derartige Interpretation.

So formierte sich die Raute in Angriffspressing-Situationen mehr zu einem 4-3-3, so dass man die drei zentralen Verteidiger des Gegners effektiv unter Druck setzen konnte, was besonders in der Anfangsphase betrieben wurde, auch gelang und bereits in der allerersten Spielminute eine Großchance höchsten Kalibers brachte.

Hinter der ersten Pressing-Welle spielten drei zentrale Mittelfeldspieler, die kompakt und dynamisch zum Ball verschoben und die Räume gut verdichteten. Zwar fuhr der Gastgeber die Pressing-Intensität – wie weithin üblich – nach etwa 10-15 Minuten herunter, doch schon in dieser Phase waren grundlegende Punkte der Strategie Novaras ebenso wie Probleme der Gäste aus Milano sichtbar geworden.

Die bereits angesprochene 4-3-Stellung in der Defensive erlaubte Novara ein sicheres und zügiges Verschieben auf die Außenbahnen und damit eine verlässliche Grundlage für das Abwehrspiel, was durch die Leistung der beiden Halbspieler Porcari und Rigoni extrem verstärkt wurde, da beide ihre Aufgaben diszipliniert lösen konnten, indem sie sowohl gegen Inters Wing-Backs vorgingen, als auch das Zentrum kompakt hielten, als auch im Angriffsspiel halfen.

Man beschränkte sich hauptsächlich auf die Verteidigungsarbeit, an der sich das den Ballbesitz dominierende Inter die Zähne ausbiss und fast keine Chancen erspielen konnte, sowie einige wenige Konter, nutzte aber erneut die Flexibilität der Formation aus, um immer wieder eigene Ballbesitz-Phasen einzubauen, um für Entlastung von der Defensivarbeit zu sorgen.

Wie Novara Inter im Spielaufbau zurückdrängte

Indem man die Raute durch das Verbreitern der Halbspieler in Tiefe und Breite aufschlüsselte, drängte man die beiden defensiven Abwehrketten Inters mit vielen direkten Gegenspielern weit zurück, so dass im zentralen Raum davor sich extrem viel Platz für Sechser Radovanovic öffnete, welchen dieser zum Spielaufbau nutzte. Wie Tuchel es am vergangenen Bundesliga-Spieltag gegen Kaiserslautern machte, lag auch hier der Vorteil in der Risikolosigkeit – man hatte viel Platz, so dass man zum einen den Ball länger halten konnte, zum anderen das Risiko eines Ballverlustes minimiert wurde, auch durch das Zurückdrängen der gegnerischen Defensive.

Inters Probleme im System

Ungefähre, durchschnittliche Positionen im Offensivspiel: Auf außen hatte man Verbindungen, aber im Zentrum keine Hilfe für Sneijder

Psychologisch kann diese Maßnahme gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, da sie als integraler Bestandteil des Matchplans Inter immer wieder aus dem Rhythmus brachte und somit die Möglichkeit eines konstanten Druckaufbaus verhinderte.

Doch auch im eigenen System hatte der Pokalsieger mit Problemen und Schwächen zu kämpfen. Cambiasso ließ sich häufig tief vor die eigene Abwehr fallen, um den Ball zu erhalten und dann zu verteilen, doch was als Hilfe für den Spielaufbau und Absicherung gegen potentielle Konter nach Ballverlust gedacht war, ging nicht nur nicht auf, sondern auch nach hinten los. Denn zum einen wurde die Verbindung Cambiasso-Sneijder, welcher immer auch ein Auge nach hinten haben musste, gegen das starke Mittelfeld des Gegners gekappt – weshalb man schon zu Beginn beim Pressing so unter Bedrängnis geraten war – und zum anderen entstand so in der Mitte ein ziemliches Kreativloch.

Während Cambiasso meist tief stand, hielten die Wing-Backs ebenso wie die Außenstürmer (Forlán zog es ab und an ins Zentrum, allerdings spielte er dann schematisch zu hoch) meist die Breite, so dass man zwar selbst im Zentrum Räume öffnete, bis auf den allein gelassenen Sneijder allerdings niemand diese nutzen konnte.

Die Taktik hinter dem ersten Tor

Um seine Mannen besser auf Kurs zu bringen, versuchte Gasperini es mit einer kleinen Änderung innerhalb der Formation, die vorsah, dass sich Zanetti verstärkt ins Zentrum orientierte, während Nagatomo etwas tiefer spielen und Lucio und Castagnois zusammen den vorher von Zanetti bespielten Raum mit übernehmen sollten.

Zwar erreichte man so mehr Präsenz in der Spielfeldmitte und mehr Freiheiten für Sneijder, was sich auch in einigen aufgrund der gegnerischen Anordnung oftmals geblockten Distanzschüssen äußerte, doch unmittelbar nach der Umstellung wirkte man zum einen etwas chaotisch, zum anderen bekam man die rechte Flanke nicht so ganz dicht, was in Kombination mit dem zu starren Deckungssystem in hinterster Reihe schon bald zum ersten Gegentor führte:

Mazzarini wich auf links aus und zog Ranocchia aus der Position, während Meggiorini sich tief fallen ließ und damit Lucio komplett aus der Ordnung heraus löste, welche sich somit komplett auflöste – Inter versank im Chaos. Das zentrale Mittelfeld konnte den von Mazzarini geschaffenen Raum nicht füllen, Porcari nutzte diesen, Mazzarini und Meggiorini erledigten den Rest und belohnten sich für ihre gute taktische Arbeit mit Assist bzw. Tor.

Dem verschlafenen Raum folgt Albtraum Morimoto

Nach der Pause setzte Inter dann mit den Einwechslungen von Obi und Pazzini für Castagnois und Forlán wieder mehr auf das 3-5-2 und vor allem auf mehr Zentrumsstärke. Doch obwohl man hier nun die Voraussetzungen hatte, spielte man – sei es aufgrund der Intuition, gegen eine formal enge Formation über die Außen zu kommen, sei es, weil man mit Milito und Pazzini nun zwei bewegliche Zielstürmer hatte – weiterhin zu oft über außen anstatt durch die Mitte.

Dabei gab es hier nun noch mehr Räume, wie sich auch bei weiteren Distanzschüssen zeigte, da der Gegner eben wegen jenes neuen Sturmduos und wegen schwindender Kräfte häufig eher eine 5er- oder 6er-Kette spielte und mehr und mehr unsortiert daher kam.

Dennoch gelang nur noch ein Anschlusstreffer in Billard-Manier (89.), nachdem vorher Novara per Strafstoß (86.) erhöht hatte, statt des Ausgleiches fing sich Inter noch einen weiteren Treffer ein – Rigoni traf zum zweiten Mal binnen 5 Minuten.

Bei beiden Treffern war ein Mann entscheidend beteiligt – der nach den Auswechslungen verbliebende Stürmer der Gastgeber, Takayuki Morimoto. Mit Laufbereitschaft, unbändigen Einsatz, giftigen Temperament, Schnelligkeit und seinem Fintenreichtum ließ er die Inter-Defensive ein ums andere Mal nicht nur mit spielerischen Mitteln alt aussehen, sondern nervte sie auch in anderen Bereichen gehörig. Morimoto war Inters Albtraum und das Sinnbild für die Überlegenheit des Aufsteigers gegenüber einer schwachen Truppe aus Mailand.

Gasperini vor dem Aus – bestätigt

Was uns wieder zu Trainer Gian Piero Gasperini führt und der Frage, wieso es für Inter zur derzeitigen Situation kommen konnte. Es war nicht nur die zweite Niederlage im dritten Ligaspiel, sondern auch die vierte Pleite im fünfen Pflichtspiel der Saison – bei insgesamt null Siegen.

Es wäre wohl übertrieben, Gasperini mit Michael Oenning – mehr zu jenem in Kürze – zu vergleichen, aber es sind doch gewisse Schnittmengen, bezüglich der Situation des Vereins an sich und der Situation der Mannschaft, vorhanden – und natürlich, dass bei beiden die Entlassung nun fest ist.

Einige Spieler schienen zu seinem System nicht zu passen, den Innenverteidigern fehlt es bspw. an Schnelligkeit und dem richtigen Timing, um ihn diesem System mithalten zu können, so dass im Spiel gegen Palermo die Defensive unorganisiert war, man an verschiedensten Fronten große Räume ließ – diese Konteranfälligkeit war gestern erneut zu sehen.

Im Offensivspiel präsentierte man sich großteils harmlos, da die Wing-Backs, die zur Verfügung standen, extrem unproduktiv waren, um die hohe Angriffslast auf ihren Schultern zu erfüllen. Sneijder wirkte unzufrieden, dass er hin und her geschoben wurde – Zehner, hängende Spitze, Linksaußen, Hybrid aus letzteren beiden, zentraler Mittelfeldspieler oder sogar die Bank – und schien ebenso das große Vertrauen zu vermissen.

Insgesamt agierte man recht ideen- und planlos, es fehlte die große Idee, wie man zu Torchancen kommen könnte, stattdessen präsentierte man sich als wenig zusammenhängende Mannschaft, in der jeder seine eigenen Ideen umzusetzen versuchte. Spieler starteten Aktionen auf die niemand reagierte, Spieler standen sich sogar selbst im Weg und nahmen sich Räume. Sinnbildlich für dies alles waren die erneut recht kopflosen Libero-Vorstöße Lucios in der Schlussphase, als man verzweifelt einen Treffer brauchte.

Da man keinen Plan und keine Balance erkennen konnte, war die heute verkündete Entlassung folgerichtig.

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