FC Barcelona – AC Milan 2:2

Das Topspiel des Champions-League-Spieltages fand in Barcelona statt, wo der aktuelle CL-Sieger den Meister Italiens empfing. Der AC Milan war mit einem Unentschieden in die heimische Saison gestartet und stand nun vor einer monströsen Aufgabe, einem Spiel im Camp Nou. Barcelona hatte nach dem überraschenden 2:2 gegen Außenseiter Real Sociedad auch einiges wiedergutzumachen und stellte ihre beste Mannschaft auf den Platz.

Wechselwirkung der jeweiligen Formationen

Grundformationen zu Beginn des Spiels; Barcelona agierte sehr hoch und drängte Milan weit in die eigene Hälfte, während Valdes als Antizipationskeeper naturgemäß aufrückte

Barcelona trat abermals in einem 3-4-3 an, allerdings mit leichten Unterschieden gegenüber dem Spiel gegen Villareal. Statt drei zentralen Mittelfeldspielern vor einem Sechser agierten nun zwei zentrale Mittelfeldspieler vor Keita und Dani Alves. Busquets, Mascherano und Abidal bildeten hinten die Dreierkette und folglich ergab sich dadurch ein Problem: Wer kümmert sich um den linken Flügel? Iniesta übernahm diese Aufgabe teilweise zusammen mit Abidal in der Defensive, doch großteils spielten dort Pedro oder Villa, die oftmals die Seiten tauschten. Zentral im Sturm begann Lionel Messi, der gegen Real Sociedad geschont wurde.

Die Gäste aus Italien planten mit einer Raute zu spielen, in der Cassano und Pato hängend agierten, während Seedorf und Boateng sie von hinten in Szene setzen sollten. Dieses System kam faktisch aber nicht zustande, da man nach dem Führungstreffer in der ersten Minute durch Pato in die eigene Hälfte zurückgedrängt wurde und sich gänzlich Barcelona anpassen musste. So kam es, dass Seedorf auf der Suche nach freien Räumen zwischen Dani Alves und dem restlichen katalanischen Team agierte, während Cassano sehr tief ins Mittelfeld zurückfiel. Boateng rieb sich zentral auf und versank in Zweikämpfen – wenig verwunderlich, dass Ambrosini für ihn eingewechselt wurde – , während Nocerino auf der rechten Seite gegen Iniesta und den rochierenden linken Flügel Barcelonas spielen musste.

Einen Vorteil hatte diese Anpassung dennoch: Das Loch auf der linken Seite Barcelonas konnte von Abate das ein oder andere Mal für die wenigen Konter genutzt werden, während links Zambrotta nie einen Ausweg aus dem Pressing des CL-Siegers fand. Immer wurde er vom rechten Außenstürmer und Dani Alves attackiert, der sich schematisch meistens auf einer Höhe mit der offensiven Dreierreihe befand. Zwar konnte Seedorf einige Male auf links Konter einleiten, aber diese spielgestalterischen Versuche wurden im Laufe des Spiels nicht nur ineffektiver, sondern auch seltener und spätestens ab der zweiten Halbzeit stellten sie keine Bedrohung mehr dar.

Ebenso interessant war die Rolle  der Mailänder Innenverteidiger: während Alessandro Nesta extrem tief verteidigte, versuchte Silva antizipativ den Ball vor dem Strafraum zu erobern und er verfolgte teilweise Messi bei seinen Ausflügen ins Mittelfeld, allerdings nur bis zu einer gewissen Zone, von wo Mark Van Bommel dann diese engere Manndeckung statt seiner eigentlich raumdeckenden Spielweise übernahm.

Nichtsdestotrotz befreite sich Messi aus dieser speziellen Deckung und konnte nach einem langen horizontalen Lauf, wo er schließlich den Rechtsverteidiger Abate in einem Sprintduell überlistete, den Ausgleich durch Pedro vorlegen. In der zweiten Halbzeit blieb alles beim Alten – Barcelona drückend überlegen, aber es fehlte oftmals die letzte Zielstrebigkeit, während Milan kaum fünf Pässe hintereinander zustande brachte und es war bezeichnend, dass sowohl das 2:1 für Barcelona als auch der Ausgleich für Milan nach Standards fielen. Paradox war aber, dass Milan in diesen neunzig Minuten nur in den ersten dreißig und in den letzten dreißig Sekunden wirklich gefährlich war. Dennoch konnten sie ein Unentschieden erringen

Milans System und seine Vorteile gegen Barcelona

Dadurch dass man sich völlig an die Katalanen anpasste, fand man in der Theorie ein relativ gutes System, um sie zu neutralisieren. Van Bommel und Thiago Silva teilten sich Messi, während Nesta den Strafraum verteidigte. Seedorf und Abate nutzten die Löcher in der asymmetrischen Formation Barcelonas, während Pato mit seinen Bewegungen und seiner Dynamik für Gefahr sorgte. Ein Problem war allerdings, dass man nach einem guten Beginn immer schwächer wurde und sich auf dem 1:0 ausruhte, was dafür sorgte, dass man später schlichtweg nicht mehr nach vorne spielen konnte.

Man stand tief in der eigenen Hälfte, der Gegner fand seinen Rhythmus und erhöhte kontinuierlich seine Schlagzahl – verstärktes Pressing und offensivere Verteidiger banden den AC Mailand kollektiv in die eigene Hälfte und machten es praktisch unmöglich, sich spielerisch daraus zu befreien. Mehr Aggressivität im Zentrum bei gleichzeitiger Erhöhung der spielerischen Komponente wäre eine Möglichkeit gewesen, doch nach der Einwechslung Ambrosinis verlor man viele Bälle im Mittelfeld und es haperte bei der Dynamik – bei all seiner Klasse, aber in einem solchen Spiel wäre entweder ein Zerstörer oder ein defensiv fleißiger Techniker passender gewesen. Ebenso wäre auf der Außenbahn ein Tausch nötig gewesen, aber dennoch holte man ein unerwartetes Unentschieden und scharfe Kritik verdient Massimo Allegri beileibe nicht, er hat nämlich etwas geschafft, an dem viele seiner Kollegen scheiterten: einem Punktgewinn im Camp Nou, trotz nur 25% Ballbesitz.

Das katalanische 3-4-3

Abermals trat Barcelona also mit einer Dreierkette an. An eine Renaissance der klassischen Dreierkette sollte man dennoch nicht glauben, denn sowohl die Formation aus dem Spiel gegen Villareal als auch die gegen Mailand unterscheidet sich klar von früheren Dreierketten und ist vielmehr als eine Revolution anzusehen. Beispielsweise agierte man im ersten Spiel gänzlich ohne Wingbacks und dieses Mal schuf man eine starke Asymmetrie nach rechts, um mit nur einem klassischen Wingback anzutreten.

Des Weiteren sind die Rollen der Innenverteidiger unglaublich vielschichtig und modern. Busquets rückt ununterbrochen ins Mittelfeld auf, um eine sichere Anspielstation zu bieten sowie ein Pärchen mit Keita zu bilden. Letzterer begab sich das gesamte Spiel über auf die Suche nach einem festen Partner, sei es Xavi, Iniesta oder eben Busquets – dies hatte den Grund, dass diese Spieler das zentrale Spielgeschehen  dominierten und deshalb vom Gegner das primäre Ziel einer genaueren Deckung oder aggressiveren Vorgangsweise sein könnten. Dies wäre fatal für den Spielfluss der Katalanen, aber durch Keita gab man ihnen nicht nur eine sichere Anspielstation, sondern einen körperlich robusten Helfer im Pressing wie bei Offensivzweikämpfen. Mascherano und Abidal würden bei Aufrücken Busquets eine Zweierkette bilden, wobei sogar Mascherano sich aus dieser Kette lösen und nach vorne rücken würde, wenn der Gegner nur weit genug nach hinten gedrückt wurde. Es wäre gar möglich, dass auch Abidal diese Vorgabe hatte, sich aber aufgrund Abates und Patos Dynamik zurückhielt, was auch erklären würde, wieso sich ausgerechnet der Franzose oftmals als letzter Mann wiederfand: er war schlichtweg auf längere Distanzen der schnellste Spieler der drei.

In der Offensive beeindruckte Barcelona durch viele Positionswechsel. Sowohl horizontal und vertikal wurde rochiert, spätestens mit der Einwechslung Fabregas‘ war dieses Wechselspielchen perfekt. Messi rückte nach hinten, Villa und Pedro tauschten die Positionen und Aufgaben, während Iniesta und Xavi gemeinsam das Spiel gestalteten. Es scheint fast so, als wäre eine gänzliche Abkehr vom Flügelspiel in Person in Sicht, denn Pedro und Alves sorgten im Normalfall für die Breite im Spielfeld, doch selbst sie waren sehr nahe am Sechzehner zu finden und sorgten dafür, dass das Offensivspiel Barcelonas noch stärker wie Handball wirkte. Eventuell konnte man deshalb Villa öfters auf rechts sehen, da er durch diese kompaktere Spielanlage als (halb-)rechter Stürmer zwei Vorteile mit sich bringt: einerseits befindet er sich selbst in Tornähe und kann zum Abschluss kommen, andererseits öffnen sich für Messi Räume, da Villa viele Gegenspieler zieht. Zusätzlich kann Pedro mit seiner Beidfüßigkeit, Athletik und Intelligenz abwechselnd für mehr Enge oder mehr Breite sorgen, abhängig davon, wie es das Offensivspiel der Katalanen nun benötigt. Denn während Xavi, Busquets und Messi mit Ball den Takt angeben, sind es Pedro, Alves und Villa, die diese Aufgabe ohne Ball ähnlich ausfüllen – Iniesta nimmt an beiden Arten der Spielgestaltung teil, Fabregas ebenso.

Durch diese sehr zentrale Spielanlage schnürt man den Gegner nicht nur in der Tiefe, sondern auch in der Breite extrem ein und kann dank der Engmaschigkeit nach Ballverlust sofort effektiv gegenpressen, doch ein oft unterschätztes Problem entwächst daraus ebenfalls: ein ungenauer Pass in die Horizontale kann verheerend sein, da die gesamte Seite offen ist und die Mannschaft sich kollektiv im Vorwärtsgang befindet; heute hatte man Glück, dass Abate eine solche Möglichkeit nicht effektiv nutzte und zu langsam im Umschalten war.

Alles in allem verspricht das neue Barcelonasystem einiges und wurde nun auch gegen eine Mannschaft mit drei nominellen Stürmern (falls man Seedorf dazu zählt) angewendet, doch man wird sehen, ob es nochmals verwendet werden wird bzw. wie oft und in welchen Situationen.

Barcelona und das Kopfballspiel | Part I: Luftzweikämpfe im Spielfeldzentrum

Zwei kleine, fast schon triviale Punkte möchte ich zwecks eigener Faszination noch ausführen. Zuerst beschäftige ich mich mit dem oft genannten Problem, dass Barcelona die Lufthoheit im Mittelfeld fehlt und man dadurch mit weiten Bällen zum Erfolg kommen könnte. Dies mag zwar einen richtigen Teil haben, doch die hohe Spielintelligenz der jeweiligen Barcelona-Spieler und das richtige Einsetzen kopfballstarker Spieler wie Pique und Busquets in antizipativen Positionen können diese Kontertaktik einigermaßen entschärfen. Beispielweise wird bei weiten gegnerischen Abstößen, die heutzutage nicht mehr zur Norm gehören, die defensive Grundformation eingenommen und eine Traube in der Nähe des resultierenden Kopfballduells gebildet, während einer der kopfballstärkeren Spieler in den Zweikampf geht. Gewinnt er ihn, versucht er ihn zu platzieren und man spielt sichere Doppelpässe oder zurück zum Torwart, damit man die Lage entschärft. Verliert er ihn, bewegt sich die Traube automatisch dem Ball hinterher und versucht im Pressing sich den Ball wieder zu holen.

Gibt es allerdings einen hohen Ball im regulären Spielverlauf, so kann man bei einigen der kleingewachsenen Katalanen öfters eine recht interessante Beobachtung machen: sie täuschen eine dynamische Bewegung zum hohen Ball an und unterbrechen sie, wenn der Gegner hochspringt. Nun analysieren sie die Situation intuitiv und nähern sich dem möglichen Ziel des Anspiels leicht – falls dieser Spieler den Ball erhält, wird er attackiert, falls nicht, dann jagt man dem Ball im Kollektiv hinterher. Stoppt der Gegner, der zum Kopfball ging, den Ball wider Erwarten, wird auch er kollektiv gepresst und man versucht, so schnell wie möglich wieder Herr der Lage zu werden.

Barcelona und das Kopfballspiel | Part II: Raumdeckung bei Ecken

Eine weitere taktische Maßnahme, die sehr interessant ist, dürfte das Verhalten bei Eckbällen sein. Barcelona agiert hier nicht mit der klassischen Manndeckung und der Absicherung des Tores, sondern in einer Raumdeckung und in weiterer Folge mit einer Abseitsfalle. Die kopfballstarken Spieler postieren sich auf der Fünfmeterlinie, einer vorne, zwei eher zentral. Die kleinen Spieler bieten sich auf festen Positionen (im Sechzehnmeterraum, nahe des Elfmeterpunktes, aber etwas Richtung Ball verschoben und etwas außerhalb des Sechzehners) an und sichern auch die flachen Varianten potenzieller gegnerischer Ecken ab. Sobald die Ecke entschärft wurde, rückt das Team heraus und lässt den Gegner im Abseits stehen. Problematisch wird es allerdings, wenn man ohne Puyol und Pique agiert, aber dennoch dieses System bei Ecken umsetzen möchte. Eine scharfe und präzise Flanke auf den hinteren Teil des Fünfmeterraums sorgt dafür, dass die kleinen Spieler und der kopfballstarke Spieler zu Beginn den Ball ebensowenig erwischen können, wie es Valdes kann und man somit eine 1-zu-1-Situation im Kopfballduell im eigenen Sechzehner hat – dieses Mal gewann Thiago Silva und sorgte für den Ausgleich in letzter Minute. Etwas mehr produktives Chaos im eigenen Strafraum hätte in Anbetracht der fehlenden kopfballstarken Spieler vermutlich mehr Chancen gehabt, doch dass sich eine solche Lappalie (nur zwei Ecken hatte Milan) so auswirkt, war natürlich absolut nicht zu erwarten.

Fazit

In einem angenehmen Spiel spielte Barcelona extrem dominant, doch verfehlte es, diese Überlegenheit in Großchancen und Tore zu münzen. Der letzte Funke Entschlossenheit fehlte und minimale Unachtsamkeiten zu Beginn und zum Ende des Spiels wurden rigoros bestraft. Patos Tor zeigte die Schwächen der Innenverteidiger auf und was passiert, wenn man hoch steht, aber den Gegner nicht effektiv unter Bedrängnis setzt.

xc 14. September 2011 um 13:49

„Wer kümmert sich um den rechten Flügel?“
links, oder?!

war es wirklich ein 3-4-3? oder hat sich das lediglich aus den 75% ballbesitz ergeben? die rolle defensive rolle abidals könnte man mit dem auf seiner seite rumtreibenden pato erklären. masche und busquets sind ja schliesslich nicht die schnellsten..

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xc 14. September 2011 um 13:53

zonalmarking spricht von 4-3-3

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RM 14. September 2011 um 14:03

Es wurde erst deutlich später ein 4-3-3 gespielt, nach der Einwechslung Puyols. In den avg-positions bei ESPN kann man gut erkennen, dass Alves deutlich offensiver und Abidal deutlich defensiver als sonst im 4-3-3 agierte, faktisch spielte man mit einem 3-4-3 und ich gehe auch davon aus, dass es geplant war. Außerdem wäre es bei einem 4-3-3 Barcelonas normal gewesen, dass sich Keita dann verstärkt in der Defensive um Pato kümmert und nicht Abidal, deshalb bin ich in Anbetracht all dieser Punkte absolut überzeugt, dass es ein geplantes 3-4-3 – wobei das nicht wichtig ist, es geht schließlich um die Raumaufteilung und nicht um irgendwelche Zahlenspiele.

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