Brasilien U17 – Deutschland U17 3:4

Dank einer furiosen Aufholjagd in einer spektakulären Partie konnte sich die deutsche U17 mit einem Sieg gegen Brasilien vom WM-Turnier verabschieden.

Im Vergleich zur unglücklichen Halbfinalniederlage gegen Mexiko kam bei den Deutschen Rani Khedira für den angeschlagenen Kapitän Emre Can in die Mannschaft, während die Brasilianer nach dem Aus gegen Uruguay zweimal wechselten: Für Guilherme und Léo kamen Wellington und nach seiner Sperre wieder Adryan ins Team.

Brasilien dominiert

Von Beginn an waren die Rollen klar verteilt. Die deutsche Mannschaft nahm eine abwartende Rolle ein und überließ Brasilien weitgehend den Ball. Bis auf Yesil befanden sich fast immer alle deutschen Feldspieler in der eigenen Hälfte.

Zwar ist gerade dies eine Stärke des deutschen Teams, doch die letzte Konsequenz fehlte in diesem Spiel vor einer bereits durchaus imposanten Kulisse. Dennoch konnte man das Zentrum eng halten und so kamen die Brasilianer vor allem über die Außenpositionen. Die beiden Außenverteidiger sorgten für viel Unterstützung, drückten die Deutschen nach hinten und schufen die Breite im Spiel. Damit erlaubten sie es den Außenspielern nach innen zu ziehen.

Die letzte Durchschlagskraft entwickelte die Seleção  aber noch nicht, es fehlte an der letzten Präzision, man gab sich zunächst mit der Spielkontrolle zufrieden. Doch das sollte sich ändern. Denn die Voraussetzungen für deutsche Konterchancen waren glänzend. Yesil versuchte immer wieder, die außen von den Außenverteidigern frei gelassenen Räume zu nutzen.

Auch hier schwebte die hohe brasilianische Abwehr immer in Gefahr,  zu großen Chancen reichte es für Deutschland aber noch nicht. Yesil fehlte noch die Unterstützung – die Außen waren beschäftigt und auch Aycicek stand bei gegnerischem Ballbesitz sehr tief. So bedurfte es einer Situation, die kein unmittelbarer Gegenzug war: Ein langer Ball nach außen wurde unglücklich auf den nach außen gedrifteten Yesil verlängert, der mit einem Geniestreich vor das Tor kam und auf Aydin querlegte – dieser vollendete mühelos.

Nun wurden die Brasilianer zielstrebiger und kamen prompt zum Ausgleich durch Wellington. Das Tor zeigte die Klasse der Brasilianer, die eine kompakte deutsche Mannschaft aushebeln konnten. Auf ihrer linken Seite konnten nun die drei besten Individualisten, Piazón, der sehr bewegliche Ademilson, welcher wie gegen Uruguay als einzige Spitze nicht individuell glänzen, aber für das Team arbeiten konnte, sowie der nun überall herumdriftende Adryan, miteinander kombinieren – und das taten sie traumhaft.

Das Schaffen von Überzahlen in bestimmten Bereichen – und hier besonders die Fokussierung auf die linke Angriffsseite – waren neben dem konstanten Halten der Breite ein essentieller Bestandteil für die folgende stärkste brasilianische Phase. Innerhalb von nur 10 Minuten machten sie aus einem Rückstand eine 3:1-Führung. Alle Tore wurden über die halblinke Seite eingeleitet, wo die Spielerkombos immer wieder auch deutsche Schwächen nutzten, die man schon gegen England gesehen hatte:

Bisweilen lässt man sich zu tief zurück drängen und gibt damit kurz vor dem Strafraum Möglichkeiten zur Ballannahme. Und vor allem die Schnittstelle zwischen IV und AV auf der rechten Abwehrseite sowie die Abstimmung zwischen jenen beiden machen Probleme – Brasilien zog hier den Nutzen, beim zweiten Tor schuf Ademilson Raum, den Adryan, der allerdings zur Schwalbe griff, nutzte, beim dritten Treffer ging Piazón wieder nach innen und Emerson bereitete vor.

In der Schlussphase des ersten Durchgangs wurde die Partie etwas ruhiger: Brasilien hatte kurz danach noch zwei vielversprechende Ansätze nach Kontern, wirkte aber zunächst einmal zufrieden, so  übernahm Deutschland mehr die Initiative und traf in der Nachspielzeit nach einem Freistoß zum Anschluss – das versprach Spannung für die kommende Halbzeit.

Zweite Halbzeit

Mit dieser psychologischen Unterstützung gingen die DFB-Junioren in den zweiten Durchgang. Auffälligste Veränderung war, dass das Team von Steffen Freund nun deutlich früher die Brasilianer attackierte. Zwar barg dies ein höheres Risiko, aber es traten vor allem die positiven Wirkungen zutage.

Am wichtigsten war es, dass man den Brasilianern die Zeit nahm, ihre Angriffe vorzubereiten. Man ersticket ihre Bemühungen sehr früh, ließ sie nicht in den Rhythmus kommen und weiterhin verhinderte man so, dass Bälle zu den Offensiv-Individualisten kamen. Vor allem Adryan wurde dadurch auch zusehends von Piazón und Ademilson getrennt, da er entweder sich fallen ließ, um Bälle zu bekommen, oder zentral stehen blieb, um zwischen den Linien an den Ball zu kommen – aber obwohl der Raum dort da war, deckten die Deutschen die Passwege gut zu.

So übernahm man immer mehr das Kommando, profitierte auch davon, dass die brasilianischen Außenverteidiger defensiver blieben und sich eher auf das Abdecken ihrer Räume beschränkten. Nach 55 Minuten sorgte eine traumhafte Kombination von Yesil und Aycicek für den Ausgleich. Deutschland war zwar überlegen, aber viel mehr Chancen als Brasilien hatte man nicht, diese wurden nun wieder etwas offensiver – und dafür bestraft.

Einen schnellen deutschen Konter ausgerechnet über außen schloss Aydin zur Führung ab (63.). Nun konnte der deutsche Nachwuchs endgültig wieder die abwartend Haltung einnehmen – Brasilien fehlte es an der letzten Konsequenz, im kleinen Finale holten sie nicht mehr alles aus sich heraus und so erreiche am Ende Deutschland den Bronze-Rang.

Fazit

Es war das perfekte Vorspiel vor dem echten Finale, ein toller Abschluss für die beiden Teams und im Besonderen natürlich die DFB-Auswahl und auch ein würdiger Abschied für Steffen Freund, der nun die U16 übernehmen wird.

Von diesem unterhaltsamen Spektakel wird weniger die brasilianische Dominanz, weniger deren taktische und spielerische Klasse beim Knacken starker und kompakter Defensiven in Erinnerung bleiben, viel mehr das Spiel selbst, die Tricks und Tore und vor allem eine deutsche Mannschaft, die mit ihrem direkten, aber auch trickreichen Spiel und dank einer guten taktischen Leistung Freunds das Blatt durch eine grandiose Moral noch wenden konnten.

Freund hat eine Mannschaft geformt, die defensiv wie offensiv sehr stark und vor allem variabel agieren kann und aus sehr starken Individualisten besteht. In bestimmten Situationen gab es einige Schwächen und vor allem gegen starkes Pressing ging zu oft die Dominanz ab, aber besonders derartige kleine Schwächen sind immer an die Mannschaft selbst gebunden – die Spieler werden auf den Profibereich vorbereitet, dort werden sie als Spieler in andere Mannschaften eintreten, dieses Team wird nicht mehr oft zusammenspielen.

Dies ist sehr schade, da man nicht nur durch sportliche und taktische Werte beeindruckt und begeistert hat, sondern auch durch Teamgeist, Moral und ein multikulturelles Element. Leider waren weder ein EM- noch ein WM-Titel vergönnt, aber vielleicht ist das auch gar nicht das Entscheidende.

Thomas 16. Juli 2011 um 19:08

Hey TR!

Wie weit sollte der Abwehrspieler im Rücken des Angreifers beim 1 gegen 1 am Flügel entfernt stehen?

Eine Armlänge?

Danke im Voraus auch für die anderen Fragen!

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Thomas 16. Juli 2011 um 20:40

Ist es richtig, dass die Außenverteidiger positionieren sich so (hoch), dass sie den offensiven Außen bei einem möglichen Anspiel direkt stellen können und so ein aufdrehen in Spielrichtung verhindern.

Mit dem Anspiel auf einen optimalen Abstand (Armlänge) ranrücken?

Liebe Grüße

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TR 16. Juli 2011 um 21:36

Das ist doch zweimal die gleiche Frage jetzt, oder nicht? Und eigentlich hast du das doch schon mal gefragt, oder nicht?

Kommt auf die Vorgaben und die Situation an: Einige Trainer wollen, dass der dribbelstarke Spieler nur gestellt und gedoppelt wird, man lässt Flanken zu (wenn man Kopfballstärke vorweisen kann). Andere setzen voll auf Balldruck statt auf Raumdruck am Flügel und wollen das Aufdrehen verhindern – Aachens Trainer Hyballa wäre hier ein Beispiel.

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Thomas 16. Juli 2011 um 15:47

Du wärst also kein Fan davon, im 4-2-1-3 anzugreifen und im 4-2-3-1 wie folgendem Bild:

http://talente.dfb.de/index.php?id=518780

zu verteidigen?

Grüße

Antworten

TR 16. Juli 2011 um 15:53

Es kommt meiner Meinung nach immer auf das Team an. Etwas generelles will ich dazu gar nicht sagen – nur eben, dass beides Vor- und Nachteile hat. Der Vorteil des 4-2-3-1 ist eben, dass man vorne gut attackieren kann, aber dafür nicht ganz so kompakt ist wie das 4-4-1-1. Das 4-1-4-1 ist sehr flexibel, man kann früh attackieren, aber auch sehr tief und kompakt verteidigen. Allerdings geht es sehr weit ins Extrem, da ist das 4-2-3-1 dann etwas ausgewogener.
In dem Bild sieht man ja noch andere Grundformationen, die man in der Defensive einnehmen kann. Diese ganzen Leitlinien sind – nur mal so angemerkt – für mich auch nicht so toll formuliert, sehr allgemein und nicht immer wirklich aussagekräftig.

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Thomas 16. Juli 2011 um 11:41

Verschenkt denn man durch ein 4-4-1-1 nicht den Vorteil der zusätzlichen Reihe im 4-2-3-1?

Die deutsche U17 hat im 4-2-1-3 angegriffen und im 4-2-3-1 verteidigt oder?

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TR 16. Juli 2011 um 11:50

Kann man so nicht sagen: Wenn man dafür in den Reihen selbst Kompaktheit aufgibt, ist es natürlich blöd. Wenn man die Frage nun kurz und bündig beantworten sollte, könnte man sagen: Lieber 2 kompakte Reihen als 3, die es nicht sind.

Ja, richtig, wobei es gelegentlich so aussah, als würde bei Gegenstößen Aycicek mit seinen späten Vorstößen etwas höher spielen als die Außen, was aber wohl eher den gegnerischen AV geschuldet war. Man stand sehr tief im 4-2-3-1 und war recht stabil, aber vielleicht fehlte es doch ein wenig an Kompaktheit und vielleicht hat die Formation in der Defensivphase den Brasilianern auch in die Hände gespielt, als diese dreimal trafen. In der 2. Halbzeit attackierte Deutschland dann früher – nutzte es aus, dass das 4-2-3-1 vorne mehr Leute hat und sich für frühes Attackieren besser eignet als ein 4-4-1-1.

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Thomas 16. Juli 2011 um 14:27

Das leuchtet mir ein, aber wenn die Mannschaft doch kompakt spielt, sich ständig am Ball orientiert, zum Ball verschiebt und die beiden Aussenbahnspieler/Aussenstürmer gut nach hinten doppeln, dann ist doch das 4 : 2 : 3 : 1 ein echt super System mit seinen Vierreihen, oder nicht?

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TR 16. Juli 2011 um 15:11

Genau genommen hat das 4-4-1-1 ja auch vier Reihen… 😉

Nein, viel wichtiger ist natürlich wirklich die Kompaktheit. Nehmen wir mal das 4-1-4-1 noch dazu. Das ist praktisch eine noch kompaktere Version des 4-4-1-1, weil zwischen den beiden Ketten noch ein Spieler ist, der aufräumt, was durchkam. Aber hier kann es auch an Kompaktheit mangeln, wenn dann entweder die 3. Reihe zu hoch steht – und die Gefahr ist, dass dies einfach passiert, weil dazwischen noch ein Spieler ist – aber der wird dann überladen, es fehlt an Kompaktheit. Wenn man es gut macht, dann ist es ja auch schön, aber beim 4-2-3-1 kann dann ähnliches passieren wie beim 4-1-4-1, wie im VF der U17-WM: https://spielverlagerung.de/2011/07/05/deutschland-u17-3-2-england-u17/

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Thomas 15. Juli 2011 um 22:21

Hallo!

Eine Frage zum 4-2-3-1:

Wie würde bei dir die Defensivorganisation aussehen?
Würdest du deine Mannschaft auch im 4-2-3-1 verteidigen lassen oder würdest du deine beiden offensiven Aussenbahnspieler weiter zurückziehen bis auf Höhe der 6er sodass sich 2 viererketten ergeben (quasi 4-4-1-1)?
Oder sollte man sich den Vorteil von der zusätzlichen Reihe nutzen?
Freue mich auf deine Antworten!
Servus
Thomas

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TR 16. Juli 2011 um 11:18

Tja, kann man so allgemein auch nicht sagen, es kommt auch wieder sehr stark darauf an, welchen Stil man pflegt und welche Philosophie der Trainer vorgibt, ebenfalls sehr wichtig sind die Rollen und Typen der eigenen wie der gegnerischen Spieler.

4-4-1-1 ist kompakter mit zwei Viererketten, abwartender, man attackiert meistens später als im 4-2-3-1, wo du nicht so kompakt bist, aber vorne mehr Leute hast. Hängt stark auch von den Rollen der Außenspieler ab. Bei zwei Viererketten stehen sie deutlich tiefer und nur bei den passenden Spielertypen gelingt es dann, nach Ballgewinn bei schnellem Gegenstoß die Außen effektiv zu nutzen, dies ist bei einem 4-2-3-1 besser möglich, hier ist das Duell deiner Außenbahnspieler mit den gegnerischen AV klarer, während diese gegen ein 4-4-1-1 mehr Raum haben im Aufbau, wobei dies dann auch durch deren Rollen wieder ganz anders sein kann, je nach schematischer Stellung und Rolle. Manchmal drängen die AV dann auch die AM/AS nach hinten und so wird man vom 4-2-3-1 ins 4-4-1-1 gezwungen.

Es ist also immer von vielen Faktoren abhängig und daher allgemein nicht zu beantworten. Beide Varianten sind mit Vor- wie Nachteilen verbunden.

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Thomas 11. Juli 2011 um 20:48

Hallo zusammen

Wie ‘hoch’ sollten die Aussenverteidiger stehen?
Mir ist gerade beim Spiel um Platz 3 unserer U17 aufgefallen, dass der jeweilige Aussenverteidiger, wenn sein Aussenbahnspieler einen Gegner im Rücken hatte hoch stand. Beispielsituation: Brasilien im Spielaufbau, Deutschland im 4-2-3-1, Pass auf den Aussenverteidiger, der deutsche offensive Aussenbahnspieler läuft an Wie ist das zu erklären?
Sollte der Aussenverteidiger den Gegner auf seiner Seite möglichst früh attackieren, ihn nicht aufdrehen lassen und ihn in eine offene Spielstellung kommen lassen?
Oder hängt es (auch?) damit zusammen das, wenn die Viererkette sich weiter vom Tor entfernt befindet ‘weit’ verschoben wird und so der jeweilige Aussenverteidiger durch seinen Innenverteidiger abgesichert wird?
Bitte um Erklärung.

Antworten

TR 12. Juli 2011 um 14:36

Ich hoffe mal, dass ich die Frage richtig verstanden habe: Wenn der gegnerische Außenspieler den Ball bekommt, ist es immer von Situation und Strategie abhängig, wie sich der AV verhält. Er muss nicht unbedingt das Aufdrehen des Gegners verhindern. Manchmal reicht es, sich auf das Stellen, Abdecken der Passwege zu beschränken. Es ist richtig, dass die Abwehr verschiebt und der IV für den AV absichert, aber mittlerweile ist dies nicht mehr so häufig der Fall, denn wenn eine Flanke hineinkommt, dann muss in der Mitte der eingerückte und meistens kleine AV der anderen Seite ins Kopfballduell – was recht gefährlich sein kann, bei Lahm sah man dies bei Bayern, aber auch beim DFB (siehe WM 2010 gegen Serbien).

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Thomas 12. Juli 2011 um 15:31

Sollte der Aussenverteidiger den Ballführenden Gegner möglichst früh attackieren, um den Druck so von der Kette weg zu halten?

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TR 12. Juli 2011 um 16:37

Nein, nicht zwingend. Hängt – wie gesagt (dann habe ich die Frage nämlich richtig verstanden) – von Situation und Strategie ab. Wenn er attackiert und dann sofort ausgespielt wird, dann ist die Kette noch mehr unter Druck. Oder wenn er „die Kette verlässt“, kann er auch von einem Wechselpass ausgespielt sein – und dann gibt´s außen viel Raum für den Gegner.

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